Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
Vom Netzwerk:
ihm zurück. Es fiel mir auf, weil die Frauen in meinem Dorf nicht tranken, die Mutigsten höchstens ein Glas Wein zum Essen oder am Sonntag nach der Messe ein gezapftes Bier, aber niemals Kognak. Sanchís leerte das Glas und wandte sich ab, um es auf eine Fensterbrüstung zu stellen, und als er sich wieder umdrehte, merkte er, dass sie ihn ansah. So starrten sie sich schweigend an, und dann beugten sich beide zueinander hin, ohne ein Wort, bis sich ihre Münder vereinten, als hätten sie kein anderes Schicksal, keinen anderen Sinn im Leben als diesen Kuss, der sie gänzlich in Beschlag nahm. Minutenlang verschlangen sie sich gegenseitig mit geschlossenen Augen, mit herabhängenden Armen, die Körper reglos, alles vergessend, was nicht Mund war, ein Mund im anderen, Pastora mit gerecktem Hals, ihr Kopf im schmeichelhaftesten Profil zur Seite geneigt, während seine Zunge schamlos zur Schau stellte, wie er das Innere ihres Mundes erforschte. Ich hatte noch nie zwei Menschen sich so küssen sehen. Am helllichtem Tag, vor aller Augen. Und auch nicht, dass jemand wie Sanchís jetzt seine Hand über ihren ganzen Körper wandern ließ, ohne dass sie sich dagegen wehrte, vom Schenkel bis zur Brust, um die sie sich genau in dem Moment schloss, als sich eine andere Hand auf meinen Kopf legte.
    »Was gibt es da zu gaffen, du Lümmel?« Meine Mutter verpasste mir eine Kopfnuss und packte mich unter dem Arm. »Los, jetzt wird getanzt!«
    Als ich aufstand, gingen die beiden gerade Arm in Arm weg, und ich dachte, dass weder Vater noch Mutter je im Leben darauf kämen, was sie anschließend machen würden.
    An diesem Abend, als er seine Frau küsste, hatte ich Sanchís beinahe sympathisch gefunden, doch als er jetzt bei dem Portugiesen auftauchte, war weder seine Frau bei ihm noch Curro, der sein Partner war, seit sie Martínez erschossen hatten. Er war allein zur alten Mühle gekommen, und die Guardia Civil ging immer nur zu zweit auf Streife, deshalb erschrak ich so, als es mir bewusst wurde. Vater sagte immer, Sanchís sei ein Fanatiker, ein unberechenbarer, ja gefährlicher Irrer, doch als ich aufstand und ans Fenster trat, um zu sehen, was draußen los war, stellte ich fest, dass ich mich umsonst geängstigt hatte. Pepe stand mit dem Rücken zu mir und redete, machte aber nicht den Eindruck, als ob er sich rechtfertigte. Sanchís nickte ruhig, mit entspanntem Gesicht, die Hände in den Hosentaschen. Dann fiel mir der rote Fleck auf den blauen Stoffresten auf, die von den Vorhängen übrig geblieben waren und die der Portugiese für alle Fälle in einem Korb aufbewahrte. Ich nahm das Buch in die Hand und las einen Namen, Jules Verne, und einen Titel, Die Kinder des Kapitän Grant , goldene Buchstaben auf einem farbigen Umschlag, der eine seltsame Gesellschaft in einer seltsamen, vereisten und zugleich tropischen Landschaft zeigte. Das Bild machte mich so neugierig, dass ich es noch betrachtete, als Pepe ins Haus zurückkam, in dem noch nie Bücher herumgelegen hatten.
    »Wo hast du es her?«
    »Das …« Er rieb sich das Kinn, als müsste er nachdenken. »Ich glaube, jemand aus Torredonjimeno hat es hier vergessen, als er mir half, die Olivenbäume zu stutzen. Es muss ihm aus dem Rucksack gefallen sein, ich fand es vor der Tür auf dem Boden.«
    »Und wie ist es?«
    »Wie ist was?«
    »Na, das Buch«, beharrte ich, während er mich immer noch ansah, als verstünde er nicht. »Ob es gut ist …«
    »Ah!« Er lächelte. »Keine Ahnung. Ich habe noch nicht reingeschaut. Na ja, ich kann ja auch kaum lesen. Ich kann Buchstaben aneinanderreihen, aber nur mit Mühe, deshalb mag ich auch keine Bücher.«
    Das stimmte nicht. Ich wusste, dass es nicht stimmte. Als er noch keine Vorhänge gehabt hatte, hatte ich einmal beobachtet, wie er mit etwas, das wie ein Füller aussah, auf ein Blatt schrieb, und auf dem Tisch lagen mehrere aufgeschlagene Bücher, in denen er rasch nachschlug, bis er fand, was er suchte. Dann schrieb er weiter, bis er ein anderes Buch in die Hand nahm, darin blätterte und anschließend weiterschrieb. Das ist für jemand, der nicht richtig lesen und schreiben kann, unmöglich, das war mir klar, trotzdem ging ich nicht weiter darauf ein, denn bei ihm konnte ich mir nie sicher sein. Außerdem hatte ich Angst vor dem, was er sagen könnte, wenn ich ihn zwang, mir die Wahrheit zu erzählen. Deshalb also, aber auch, weil ich nicht in Madrid lebte, sondern in Fuensanta de Martos, Vater bei der Guardia Civil war und wir

Weitere Kostenlose Bücher