Der Feind meines Vaters - Roman
ihm geschlafen und die Wahrheit gesagt hatte, nämlich dass er der Vater ihres Kindes war. Seine Freunde, seine Brüder und seine Nachbarn waren Verbrecher, weil sie ihm Zuflucht gewährt hatten, die Kneipenbesitzer, die behaupteten, die unterschriebenen Geldscheine, die er zurückgelassen hatte, verloren zu haben, wenn die Guardia Civil danach fragte. Verbrecher waren auch Cuelloduro, der jedes Mal eine Runde ausgab, wenn sie auftauchten, und seine Gäste, die sie annahmen und La vaca lechera dabei sangen. Fernanda Pesetilla war eine Verbrecherin, weil sie ihren Mann nicht verraten hatte, und seine Mutter, weil sie jedes Mal Trauer trug und ihre Kleider auf dem Balkon aufhängte, wenn sie wieder einen Banditen getötet hatten. Die in den Bergen aber waren die allergrößten Verbrecher, selbst dann, wenn ein Requeté auf ihren Leichen tanzte. All das musste ich lernen und in meinen Schädel kriegen. Auch dass Spitzel und Verräter vorbildliche, gesetzestreue Bürger waren und Feiglinge ruhige und ehrliche Menschen, die Frieden und Ordnung liebten. So musste ich denken, obwohl ich es nicht verstand und nicht so empfand, obwohl es mich anwiderte und die Wahrheit immer nur der Teil ist, der uns passt. Kein Buch hätte mir das beibringen können, deshalb musste ich auch das Lesen aufgeben.
Doch der Portugiese war gekommen, um mit mir zu reden, und ließ sich von meinem Schweigen nicht davon abbringen. »Wenn dein Vater sich geweigert hätte, auf Pesetilla zu schießen, hätten sie ihn wegen Befehlsverweigerung vor ein Kriegsgericht gestellt. Wahrscheinlich hätten sie ihn zum Tode verurteilt. Vielleicht hätten sie ihn hingerichtet, möglicherweise auch nur für sehr lange ins Gefängnis gesteckt, zwanzig, dreißig Jahre, und deine Mutter müsste zur Miete wohnen, ohne eine Pension, ohne in den Genossenschaftsläden einkaufen zu dürfen, ohne irgendwelche Rechte. Sie müsste sich zu Tode schuften, damit Pepa jeden Tag etwas zu essen bekommt und sie deinem Vater auch noch etwas ins Gefängnis bringen kann. Dulce würde bestenfalls als Dienstmädchen in einem Haushalt enden und du vermutlich als Tagelöhner an irgendeinem Hof. Du müsstest morgens um vier Uhr aufstehen, um den Mauleseln zu fressen zu geben, nur für deine Mahlzeiten arbeiten und obendrein dankbar dafür sein.«
All das sagte er in einem Zug und blickte mich dabei an. Jetzt lächelte er nicht mehr und machte sich auch nicht mehr lustig über mich. Als ich ihn ansah, wurde mir klar, dass ich ihn noch nie so ernst erlebt hatte, trotzdem brachte ich noch immer kein Wort heraus.
»Dein Vater ist kein Mörder, Nino. Das musst du verstehen. Pesetillas Tod war Mord, aber dein Vater ist kein Mörder. Er tötete nicht, weil er töten wollte; es war nicht seine Entscheidung, er tat es nicht von sich aus. Man hat ihm einen Befehl gegeben, und er führte ihn aus, weil er sehr gut um all das wusste, was ich dir gerade erzählt habe, und an all das dachte. Er wog es gegeneinander ab und schoss.«
»Woher willst du das wissen?« Ich war mir der Ungeheuerlichkeit meines Einwands bewusst, denn er verteidigte meinen Vater, und ich stellte seine Argumente in Frage. Doch das Geschehene war größer als ich, und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen, wie ich es interpretieren und verdauen sollte. Wie sollte ich ein Leben lang diese Last mit mir herumschleppen? »Woher willst du wissen, was er dachte, was er …?«
»Ich weiß vieles, Nino«, unterbrach er mich. »Frag mich nicht, woher, denn ich werde es dir nicht sagen, aber ich weiß eine Menge. Zum Beispiel, dass man im April 1939 die zwei Brüder deiner Mutter in Almería an die Wand gestellt hat. Und dass dein Großvater, ein Bruder und zwei Cousins deines Vaters zur selben Zeit auf dem Friedhof von Castillo de Locubín erschossen wurden, dort richtete man auch die aus Valdepeñas hin. Sie waren so schnell, dass dein Vater nicht rechtzeitig davon erfuhr und nichts tun konnte, um es zu verhindern, denn diejenigen, die deinen Großvater töteten, wussten nicht, dass einer seiner Söhne dieselbe Uniform trug wie sie. All das hat er mir an dem Nachmittag erzählt, als wir über deinen Schreibmaschinenunterricht im Hof der Rubias sprachen. Ich verstand nicht, warum er sich so sehr davor fürchtete, warum er sich nicht traute, um einen Vorschuss von hundertdreißig Peseten zu bitten oder sie sich von irgendwem zu leihen. Also erzählte er mir, was er nach dem Krieg erlebt hatte, und dass er deshalb nie wieder nach
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