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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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weder Rechte noch Garantien, nichts, nur leere Nischen in den Friedhofsmauern.« Er hielt inne, warf mir einen vorsichtigen Blick zu und überlegte, wie er fortfahren sollte. »Der Krieg ist noch nicht zu Ende, verstehst du. Das hier ist immer noch ein Krieg, und die Menschen kämpfen immer noch auf der Seite, die das Schicksal ihnen zugewiesen hat. Wenn Catalina sagt, dass die Guardia Civil aus einem Haufen Mörder besteht, dann hat sie ihre Gründe: Erst wurde ihr Mann erschossen und jetzt ihr Sohn. Aber sie hätte dir nicht sagen dürfen, dass dein Vater ein Mörder ist, weil es nicht stimmt. Hätte dein Vater die Wahl gehabt, hätte er ein anderes Leben vorgezogen, aber in Spanien hat niemand mehr die Wahl.«
    »Und deshalb dürften du und ich nicht zusammen sein.«
    Meinem Gefühl nach hatte der Portugiese einen riesigen Umweg gemacht, um zu derselben Erkenntnis zu gelangen, die mich in einem einzigen Augenblick zerrissen hatte. Er hatte mir Dinge erzählt, die ich hätte wissen müssen und die mir niemand hatte erzählen wollen, und mich in eine Sackgasse geführt, an einen Ort, von dem es kein Zurück gab, einen tiefen dunklen Brunnen mit glatten nackten Wänden, ohne Griffe, an denen man sich festhalten konnte, um wieder ans Licht zu steigen. Natürlich verstand ich jetzt manches besser, zum Beispiel, warum Mutter auf ihre Art Regalito verteidigte, warum Vater in jener Nacht weinend nach Hause zurückgekehrt war, warum Mutter so viele Jahre gewartet hatte, um uns ihr Dorf zu zeigen, warum er uns nie in sein Dorf gebracht hatte, warum meine Cousins in Almería mir die Schuhe gestohlen hatten, warum ein Fremder mir vor der Kirchentür mit einem schiefen Lächeln erklärt hatte, dass er froh sei, nicht mein Vater zu sein. Und auch das Elend zu Hause, die Tragödie, nicht weinen, nicht sprechen zu können, mit niemandem die Erinnerung an einen toten Vater und drei tote Brüder teilen zu können, die tragische Verpflichtung, alles hinunterzuschlucken, die Tränen, die Worte, die Schuldgefühle, einfach alles. Vater und Mutter, die ständig miteinander tuschelten, wenn wir in der Nähe waren, die Zeigefinger an die Lippen legten, psst, Mercedes, sie können dich hören, sei still, Antonino, jemand könnte dich hören. Das schäbige, ungesunde Leben, wie in einem feuchten Kellerraum voller abgestandener Luft, wo der Schimmel permanenter Angst gedieh. Dieser staubige graue Klumpen, der ihren Mund verstopfte, sodass die Geheimnisse sie von innen zerfraßen, denn Worte, die nicht ausgesprochen werden, können Körper und Seele zerstören. Doch es änderte nichts. Ich konnte die Version des Portugiesen akzeptieren und ihm sogar dankbar sein; ich konnte Vater verstehen, ihn sogar bedauern und mir einreden, dass er, als er hinterrücks einen unbewaffneten Mann erschossen hatte, nur sich selbst verteidigte, dass er es für sich und für uns getan hatte, für sein Überleben, für unser Wohl. Aber in Spanien konnte niemand mehr wählen, das hatte Pepe selbst gesagt, und das war mein Einsatz, mein Fehler, meine Tragödie gewesen.
    Und trotzdem lächelte er, als er mich hörte. Dann nahm er einen flachen Stein, warf ihn in den Fluss, und beim vierten Sprung über das Wasser, ehe der Stein versank, sah er mich ganz ruhig an.
    »Das hängt allein von dir ab, Nino, du wirst dich entscheiden müssen. Du musst selbst herausfinden, wie du in Zukunft leben willst, und die Folgen bedenken, nicht?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst, Pepe.« Und es stimmte, ich verstand seine Worte nicht, ebenso wenig wie meine eigenen. Ich wusste weder, was ich in diesem Moment noch für den Rest meines Lebens denken, sagen oder tun sollte.
    »Sieh mal. In einer Lage wie der unseren ist es enorm schwer, eine solche Entscheidung zu treffen, das habe ich dir ja schon gesagt. Immerhin bist du der Sohn eines Guardia-Civil-Beamten und gehst drei Mal pro Woche zum Unterricht ins Haus einer Frau, deren Sohn gerade von den Kollegen deines Vaters erschossen wurde. Und außerdem hattest du Pech, Nino, wir alle hatten Pech, Francisco am meisten, trotzdem … Wenn du gestern keinen Unterricht gehabt hättest, wenn Elena sich daran erinnert hätte, dir Bescheid zu geben, dass du nicht kommen sollst, wenn du zwei Stunden vorher oder zwei Stunden später gekommen wärst, wenn du weggegangen wärst, statt wie ein Trottel da stehen zu bleiben, oder wenn ich geahnt hätte, was passieren würde, statt an der Tür zu stehen und genauso blöd aus der Wäsche zu gucken

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