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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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ohne das Verb »sein« zu benutzen, spielten alle irgendein Instrument.
    »Dein Großvater Manuel war Anarchist«, erzählte Pepe weiter, als handelte es sich um die Geschichte seiner eigenen Familie, nicht meiner, »aber er war schon von Kindesbeinen an mit Pelegrín befreundet. Sie traten zusammen auf Hochzeiten und Festen auf, und an vielen Abenden machten sie zusammen Musik, der Bürgermeister auf seiner Geige, dein Großvater auf seinem Akkordeon, und ein anderer, den sie Silbido nannten, spielte Querflöte, dieses schöne Instrument aus Metall, das man von der Seite bläst.« Er tat so, als spielte er eine imaginäre Flöte. »Du weißt doch, was ich meine, oder?« Ich nickte, hatte aber nicht die Kraft, ihm zu sagen, dass Vater mir einmal erklärt hatte, wie man eine von diesen Flöten spielt, die kein Mensch im meinem Dorf jemals gesehen hatte. »Deshalb fackelten sie nicht lange, als der Krieg zu Ende war. Pelegrín wurde verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, um später vor Gericht gestellt zu werden, er war nämlich berühmt, ein Symbol der Republik, es nützte ihnen, Fotos von ihm zu machen und in den Zeitungen zu veröffentlichen. Das rettete ihm das Leben, denn sie verurteilten ihn zum Tod, vollstreckten aber nicht das Urteil. Sie fanden es nützlicher, ihn für immer zu erniedrigen, ihn lebenslänglich gefangen zu halten, als Abschreckung. Er sitzt heute noch im Gefängnis, und da wird er bleiben, bis er stirbt, was nicht mehr lange dauern kann, schätze ich. Nur damit er jedes Jahr in seiner Amtstracht, Anzug und Krawatte, im Provinzgefängnis vor die Fotografen treten kann. Aber Silbido und deinen Großvater … die töteten sie ohne Gerichtsverfahren, auf die Schnelle. Sie zwangen sie, einen Paso doble spielend durch die Straßen zu ziehen, bis sie zum Dorfplatz kamen, dort mussten sie auf einen Lastwagen klettern und wurden nie wieder gesehen, obwohl man sich erzählte, sie hätten bis zum Schluss gespielt und seien mit ihren Instrumenten in der Hand gestorben.«
    Pepe verstummte und sah mich an, und ich wusste nicht, was ich sagen oder denken, was behalten und was vergessen sollte, doch er war noch nicht fertig und erwartete auch keine Antwort von mir.
    »Und in der Nacht, als jemand, und das ist das einzige, was ich nicht weiß, das einzige, das ich bestimmt nie herauskriegen werde, in die Kaserne ging, um Regalito ans Messer zu liefern und auszusagen, dass er auf dem Dachboden seines Hauses Waffen versteckte, hatte dein Vater noch niemanden erschossen, deshalb bekam er die Aufgabe, Pesetilla zu töten. Der Leutnant beschloss, dass er ihn töten solle, so wie Carmona Chapines, Romero Fingenegocios und der Leutnant selbst Laureano getötet hatten, als sie an der Reihe gewesen waren. Es war die beste Art, sich seine Loyalität zu sichern, indem sie ihn zum Komplizen der anderen machten, ihm ein für alle Mal vor Augen führten, dass er das Boot, in das der Krieg ihn verschlagen hatte, niemals verlassen konnte. Indem sie ihn zum Mörder machten, aber gegen seinen Willen, denn er war ein Carajita, Sohn und Enkel von Carajitas, und hätte sein Leben riskiert, wenn er sich weigerte, Pesetilla zu töten. Verstehst du es jetzt, Nino? Dein Vater hat nicht aus Spaß getötet und erst recht nicht, weil er überzeugt war, dass Pesetilla den Tod verdiente. Dein Vater hat ihn getötet, weil er sich nicht weigern konnte und selbst Todesangst hatte.«
    »Aber er …« Erst da konnte ich wieder klar denken. »Wenn es so ist, wie du sagst, wenn seine Leute Mitglieder seiner, meiner Familie erschossen hatten …« Mir lief es eiskalt über den Rücken, als ich die Bedeutung des Possessivpronomens erkannte und dass ich auch ein Carajita war, obwohl ich diese Bezeichnung gerade erst zum ersten Mal gehört hatte. »Er hätte aus der Guardia Civil austreten können, oder nicht? Er hätte irgendwo anders arbeiten können, in eine Gegend ziehen können, wo man ihn nicht kannte, wo …«
    Der Portugiese dachte wie immer schneller als ich. »Ja, das hätte er tun können, klar, aber es ist schwer, weißt du. So eine Entscheidung zu treffen ist sehr schwer, denn Spanien hat sich in ein Land von Mördern und Ermordeten verwandelt, ein Land, wo man Menschen aus einer Laune heraus festnimmt, foltert und anschließend tötet oder nicht, je nachdem, wer wo und wann das Sagen hat. Ein Land, in dem es keine Gerichte mehr gibt, die diesen Namen verdienen, weder unparteiische Richter noch Anwälte, die die Angeklagten verteidigen,

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