Der Feind
Problem. Sie würde gar nicht erfreut sein, wenn sie erfuhr, was er getan hatte. Er wusste, dass er es ihr sagen musste, hatte es aber den ganzen Tag hinausgeschoben, um den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, was jedoch, wie er selbst wusste, nur eine lahme Ausrede war. In Wirklichkeit wollte er es ihr einfach nicht sagen. Immerhin musste sie ständig mit Ross zusammenarbeiten. Nun, er würde es ihr morgen früh beichten.
Er wollte gerade zum Telefon greifen, um seine Frau anzurufen, als sie zur Tür hereinkam. Sofort wandte sich die Aufmerksamkeit eines großen Teils der männlichen Gäste ihr zu. Einige gingen sogar direkt auf sie zu. Rapp murmelte ein paar Flüche vor sich hin. Fernsehreporter waren in Washington echte Berühmtheiten.
Aber nach ihr würden sich sowieso alle umdrehen, auch wenn sie nicht berühmt wäre , dachte Rapp.
Anna Rielly war voller Leben. Sie hatte ein Lächeln, das den ganzen Raum erhellte, und sie trat mit viel Selbstsicherheit auf – wie ein Mensch, der genau wusste, was er wollte, was auch keineswegs gespielt war. Anna wusste tatsächlich, was sie wollte, und in den meisten Fällen bekam sie es auch.
Sie schüttelte Hände, während sie rasch, aber stets höflich durch die Menge schlüpfte. Sie verstand es meisterhaft, jedem ein Lächeln und ein paar Worte zu schenken, ohne sich jedoch in ein längeres Gespräch verwickeln zu lassen. Immer lächelnd zeigte sie auf ihre Uhr und dann auf ihren Ehemann, der am anderen Ende des Restaurants saß.
»Tut mir leid«, sagte sie, als sie endlich an seinen Tisch kam. »Als ich gerade hinausging, hat Sam noch angerufen.« Sam war ihr Producer in New York. »Er wollte noch einmal die Live-Aufnahmen für die morgige Today-Sendung durchgehen, und er hörte einfach nicht mehr auf zu reden.«
Rapp stand auf und küsste sie auf die Wange. Sein Ärger verflüchtigte sich bereits, aber ganz so einfach wollte er sie doch nicht davonkommen lassen. »Nett von dir, dass du angerufen hast.«
»Ich weiß«, rechtfertigte sie sich, »aber als ich das Gespräch mit Sam endlich beendet hatte, rief mich auch noch Liz auf dem Handy an.«
Liz O’Rourke war Annas beste Freundin. Er nahm ihre Jacke und hängte sie an einen Haken. Anna ließ sich auf der Bank nieder, und er setzte sich neben sie. Rapp überlegte, ob er einwenden sollte, dass sie Sam auch am Handy zurückrufen hätte können, aber das hätte wahrscheinlich in einem Streit geendet. Sie würde ihm sicher entgegenhalten, dass er der Letzte sei, der sich beklagen könne – nach all den Nächten, die sie wach gelegen und sich gefragt habe, ob er noch lebe oder schon tot sei. Es war besser, das Thema ruhen zu lassen.
»Also«, begann sie, »würdest du mir jetzt bitte erzählen, was los ist?«
»Was meinst du?«, fragte er verständnislos.
»Also, als ich von der Arbeit aufbrach, hat mich Jack Warch zum Wagen geleitet.«
Ach, das , dachte er und überlegte, wie er die Sache möglichst harmlos darstellen konnte. »Irene hat einen Anruf von einem unserer Verbündeten bekommen. Anscheinend hat irgendein verrückter Wahabi wieder einmal lauthals verkündet, dass er mich töten will.«
»Na, toll«, erwiderte sie und verschränkte die Arme.
Der Kellner kam mit einem Glas Wein, das Rapp bereits für sie bestellt hatte.
Sobald der Mann außer Hörweite war, sagte Anna: »Du musst aber ziemlich besorgt sein, wenn du Jack angerufen hast.«
Rapp überlegte einige Augenblicke, wie er reagieren sollte. Er wollte sie nicht erschrecken, die Sache aber auch nicht ganz herunterspielen. »Ich bin nicht besorgter als sonst auch. Ich musste Jack wegen einer anderen Sache anrufen, da habe ich das auch erwähnt. Er hat mir seine Unterstützung schon früher angeboten, da dachte ich mir, ich nehme es mal in Anspruch.«
Sie sah ihn mit ihren prüfenden Journalistenaugen an und versuchte zu erkennen, wie ehrlich er war.
»Liebling«, fügte er hinzu, »ich will nicht, dass du dir übertriebene Sorgen machst, ich will aber sehr wohl, dass du wachsam bist.«
»Na schön«, sagte sie nach einigen Augenblicken.
Das Gespräch wandte sich dem alltäglicheren Thema zu, wie sie den Tag verbracht hatten. Rapp ging nicht auf seinen Besuch bei Ross ein. Sie bestellte den Seebarsch, und Rapp entschied sich für das New-York-Strip-Steak. Er wechselte zu Rotwein, während Anna mit ihrem Glas Chardonnay zufrieden war. Fisch und Steak waren, wie erwartet, perfekt. Sie aß ihre Portion fast auf, während Rapp nur die Hälfte des
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