Der feine Unterschied
Peripherie.
Ich stehe in den Sommerklamotten da, ohne gepackte Koffer, weil ich noch eine Woche Urlaub in Portugal anhänge. Oliver Kahn legt seine Hand auf meine Schulter, und als ich zusammenzucke, weil ich nicht weiß, was er vorhat, sagt er bloß: »An dir lag’s nicht.«
Dann nickt er mir noch mal zu, schnappt sich seine Koffer und macht sich auf den Weg zum Bus, der die Abreisenden zum Flughafen bringt.
Es ist ja nicht so, dass Oliver Kahn oft Komplimente macht. Aber ich glaube, ich habe gerade erlebt, wie Oliver Kahns Komplimente sich anhören.
Es klingt vielleicht merkwürdig, aber dieser einzelne, knappe Satz aus dem Mund des Mannschaftskapitäns ist mir mehr wert als all die Artikel in den Zeitungen, wo Michael Ballack und ich zu den »heimlichen Gewinnern dieser EM« hochgeschrieben werden. Ich kann mit diesem Lob nichts anfangen: Gewinner einer Mannschaft, die gerade verloren hat. Da ist Oliver Kahns Feststellung doch deutlich präziser, und sie hat sicher mehr Wert für einen jungen Spieler nach seinem ersten Turnier.
Der Nachfolger von Rudi Völler ist Jürgen Klinsmann. Klins-mann übernimmt die Nationalmannschaft, nachdem einen Monat lang alle möglichen Kandidaten gehandelt werden, unter anderem Arsenal-Trainer Arsène Wenger, der dänische Coach Morten Olsen oder Guus Hiddink, aber auch Ottmar Hitzfeld oder Otto Rehhagel, der mit Griechenland in Portugal Europameister geworden ist.
Ich habe Klinsmann als Spieler gekannt, aber ich bin ihm nie begegnet, höchstens einmal als Balljunge. Er ist nach einer sehr erfolgreichen Karriere als Stürmer nach Amerika gegangen und hat dort im Sportmanagement gearbeitet. Das lässt sich nicht verleugnen, als er sich mit dem Team, das er zusammengestellt hat, der Mannschaft präsentiert.
Klinsmann bringt als Manager Oliver Bierhoff und als Co-Trainer Jogi Löw mit. Er kündigt an, dass er die Strukturen der Nationalmannschaft von Grund auf erneuern und nebenbei auch den DFB reformieren will. Er hat auch ein paar Schlagworte im Programm, die super klingen. »Powerfußball« soll die Mannschaft in Zukunft spielen, die Spielweise soll offensiver als bisher sein, schnell und nach vorne, fast & furious.
Ich bin ein bisschen skeptisch. Ich glaube, das ist normal. Immer wenn was Neues auf einen zukommt, ist man ein bisschen skeptisch. Ein neuer Trainer stellt erst mal immer die Verhältnisse auf den Kopf.
Neuer Trainer, neue Vorlieben, neuer Druck. Jeder Trainer muss zuerst mal deine Qualität erkennen und dich aufstellen, und du musst im richtigen Moment deine Leistung bringen, sonst bist du wieder raus — das geht ganz schnell. Wenn du das erste Spiel gut spielst und das zweite schlecht, stehst du beim dritten schon wieder unter Druck. Du musst also konstant Leistung bringen. Du darfst dich nicht verletzen, nicht zum falschen Zeitpunkt krank werden. Das alles spielt eine Rolle, bis du endlich Stammspieler bist.
Ich denke, dass meine Chancen gut sind, auch beim neuen Bundestrainer. Ich habe sowohl in der Bundesliga als auch in der Nationalmannschaft gut gespielt. Aber hat Klinsmann nicht gesagt, er wird die Mannschaft von Grund auf erneuern, den ganzen DFB reformieren? Vielleicht spielt er ohne Außenverteidiger, wer weiß.
Aber als Jürgen Klinsmann im August 2004 seinen Kader für das Länderspiel gegen Österreich bekannt gibt, bin ich genauso dabei wie eine ganze Riege von jungen Spielern. Basti Schweinsteiger steht im Kader, Lukas Podolski, Andreas Hinkel, Kevin Kuranyi. Und von der ersten Minute an, nachdem der neue Bundestrainer seinen Tarif durchgegeben hat, weht ein anderer Wind als zuvor. Klinsmann bringt aus Amerika Fitnesstrainer mit, er trennt sich von Personal, das seit vielen Jahren zum Inventar der Nationalmannschaft gehörte. Er ernennt Michael Ballack anstelle von Oliver Kahn zum Kapitän. Klinsmann begründet das damit, dass er keinen Torhüter als Kapitän haben möchte.
Alles, was im Training angefasst wird, hat plötzlich Hand und Fuß. Das gesamte Trainerteam weiß, was es will. Wir wärmen uns konzentriert mit entsprechenden »Exercises« auf, dann folgen Schnellkraftübungen. Die Bilder, auf denen wir mit Gummibändern die Muskulatur trainieren, kursieren in allen Medien und werden zu Symbolen für den Epochensprung, den die Ankunft von Jürgen Klinsmann bedeutet.
Einmal pro Jahr führt Klinsmanns Team Fitnesstests durch. Dabei werden Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Kraft jedes einzelnen Spielers gecheckt —
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