Der feine Unterschied
wird vielleicht eine Stunde trainiert, dann verziehen sich alle wieder auf ihre Zimmer. Ich glaube, dass damals viele Playstations geglüht haben. Es gibt keine taktischen Besprechungen. Es gibt keine Videoanalyse von kommenden Gegnern. Es gibt auch keine Videoaufzeichnungen eigener Spiele, anhand derer man die Spielweise der Mannschaft analysieren und verbessern könnte. Das Einzige, worüber wir reden, sind Fehler, die dem Bundestrainer aufgefallen waren. Da einigt man sich dann darauf, dass man sie in Zukunft nicht mehr machen will.
Aus der Sicht von heute klingt das wie eine andere Epoche von Fußball, und wahrscheinlich stimmt das auch. Ich weiß von keiner Nationalmannschaft des Jahres 2004, die sich anders, professioneller vorbereitet hätte als wir. Wie professionell die Arbeit mit den Nationalspielern überhaupt sein kann, erlebe ich sowieso erst nach dem Debakel bei der EM 2004 in Portugal.
Wir sind in der Gruppe D mit Holland, Lettland und Tschechien, das klingt nach lösbarer Aufgabe. Wir steigen mit dem Schlagerspiel gegen Holland ins Turnier ein, gehen durch einen Freistoß von Torsten Frings in Führung und kassieren erst knapp vor Schluss den Ausgleich durch ein blödes Tor von Ruud van Nistelrooy.
Ich habe meine Position gut im Griff. Das ist im Moment alles, worum es mir geht. Wenn du zwanzig Jahre alt bist, kannst du nicht die ganze Mannschaft im Blick haben, sondern musst vor allem auf dich selbst schauen.
Man kann es auch anders formulieren: ich bin noch nicht in der Situation, Verantwortung für die ganze Mannschaft zu übernehmen. Ich trage schon individuell Verantwortung genug. Für mich ist es in Portugal das höchste der Gefühle, eine anständige Partie abzuliefern und keine groben Fehler zu machen.
Im zweiten Spiel treffen wir auf Lettland und spielen 0:0. Die Mannschaft scheitert an den eigenen Schwächen. Sie ist spielerisch nicht stark genug, um einen defensiven Gegner aus-hebeln zu können. Das letzte Gruppenspiel gegen Tschechien wird für uns zum Entscheidungsspiel, ob wir das Viertelfinale erreichen oder nach Hause fahren.
Wir verlieren gegen Tschechien 1:2, obwohl wir durch Michael Ballack in Führung gegangen sind. Die EM ist für uns vorbei, bevor sie richtig angefangen hat.
Nach dem Schlusspfiff kommt Rudi Völler von der Betreuerbank aufs Feld, klopft mir auf die Schulter und sagt: »Sehr gut gespielt, Philipp.« Damit ist mein Dilemma perfekt beschrieben. Meine Leistungen waren anständig bis gut, und eigentlich dürfte ich durchaus mit mir zufrieden sein. Aber wie soll ich zufrieden sein, wenn wir, die große Fußballnation, die Deutsche Fußballnationalmannschaft, in der Vorrunde einer
EM scheitern? Wenn wir ein Turnier ohne einen einzigen Sieg abliefern?
Bestimmt bin ich als junger Spieler noch nicht der, mit dem dieser Misserfolg persönlich identifiziert wird. Aber ich bin Teil der Mannschaft, die aus dem Turnier geflogen ist. Die Mannschaft ist ein anspruchsvolles Gefüge, alle Spieler tragen ihren Teil zu Sieg oder Niederlage bei. Bei diesem Turnier hat sich die Mannschaft noch einmal zu sehr auf die Impulse Einzelner verlassen, auf die Autorität des Trainers und die Arbeit der sogenannten Führungsspieler, die nun auch in der öffentlichen Kritik stehen, aber mit dem Scheitern der Mannschaft steht auch das Prinzip, einzelnen, starken Figuren die Verantwortung für das ganze Team aufzubürden, vor dem Ende. Es zeichnet sich ab, dass ein neues Denken, ein Bekenntnis zur kollektiven Verantwortung, zu flacheren Hierarchien nötig sein wird, um im modernen Fußball erfolgreich zu sein.
Nach dem Tschechien-Spiel fahren wir gemeinsam zurück ins Hotel. Noch am selben Abend trommelt Rudi Völler die Mannschaft zusammen und teilt ihr mit, dass er zurücktreten wird.
Ich erinnere mich an die fatalistische Stimmung in der Hotelhalle. Mehrere Spieler sprechen davon, dass auch sie ihre Karriere in der Nationalmannschaft beenden werden. Die Mannschaft steht vor einem Umbruch. Ein neuer Trainer wird kommen, und eine neue Generation von Spielern wird in den Ring steigen müssen.
Als am nächsten Morgen der allgemeine Aufbruch stattfindet, kommt Oliver Kahn zu mir, der Titan. Er war bester Spieler der WM 2002 in Japan und Südkorea, wo er die Mannschaft fast im Alleingang bis ins Finale geboxt hat, eine Legende. Obwohl ich jetzt schon ein paar Spiele gemeinsam mit ihm gemacht habe, kenne ich ihn noch immer nicht näher. Wo er ist, ist das Zentrum, und mein Platz ist an der
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