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Der feine Unterschied

Titel: Der feine Unterschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philpp Lahm
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vier Spieltage, und wenn wir auf Kurs bleiben, dann schaffen wir wieder die Qualifikation für die Champions League. Vor uns in der Tabelle stehen nur der FC Bayern, der souverän auf die Deutsche Meisterschaft zusteuert, und Schalke 04, die wir mit etwas Glück noch abfangen können. Im Nacken haben wir freilich Hertha BSC und Werder Bremen, beide nur mit hauchdünnem Rückstand.
    Wir retten Platz drei über die nächsten drei Runden, aber am letzten Spieltag kommt der FC Bayern. Bayern ist Meister, aber wenn wir gewinnen, sind wir für die Champions League qualifiziert.
    Im Training gehe ich auf einen Ball, der vor mir aufspringt und hoch in die Luft steigt. Mein rechtes Bein ist gestreckt, ich mache einen langen Schritt zum Ball, drehe mich dabei, mein Oberkörper rutscht nach hinten und das rechte Knie dreht sich aus, und sobald ich wieder in Balance bin, den Ball weggeschlagen habe, merke ich, hm.
    Keine Schmerzen, nichts tut weh. Aber der Körper funkt, dass etwas nicht stimmt.
    Ich weiß, dass der Körper nach einer Verletzung besonders anfällig für neue Verletzungen ist. Die Motorik funktioniert noch nicht optimal, Bewegungsabläufe sind noch nicht so rund und aufeinander abgestimmt wie sonst. Zur Sicherheit will ich raus. Zwei Kameraden nehmen mich in die Mitte, sodass ich mich an ihren Schultern festhalten und auf einem Bein humpeln kann. Sie bringen mich in die Kabine.
    Ich liege auf einer Bank, während die Physiotherapeuten Innen- und Außenband testen.
    »Nichts.«
    »Du Memme«, denke ich mir. »Du hättest einfach weitertrainieren sollen.«
    Der Physio sagt: »Höchstens, dass dein Kreuzband was hat. Fahr zur Sicherheit in die Klinik und lass das kontrollieren.«
    Die Kameraden kommen einer nach dem anderen bei mir vorbei.
    »Wird schon nichts sein, Philipp.«
    Aber die, die bei meiner Ballannahme in der Nähe standen, haben Falten auf der Stirn.
    »Wir haben etwas knallen hören, Philipp. Hoffentlich war das nicht dein Kreuzband.«
    Ich fahre mit bangen Gefühlen in die Klinik zur Kernspintomografie. Dabei wird mit starken Magnetfeldern ein Querschnitt durch das Knie simuliert, sodass der Diagnosearzt sehen kann, ob die komplizierte Architektur der Kniebänder beschädigt ist.
    Der Arzt kommt mit ernstem Gesicht ins Zimmer. In diesem Augenblick weiß ich, dass die Diagnose nicht gut sein wird.
    »Das Kreuzband?«, frage ich, damit nicht der Arzt zu sprechen beginnen muss.
    »Glatt abgerissen«, sagt der Arzt.
    »Wie lange muss ich pausieren, Doktor?«, frage ich.
    »Mindestens fünf Monate.«
    Das tut weh. Das tut sehr weh.
    Etwa zehn Minuten sitze ich in der Praxis, und während der Doktor mir Details meiner Verletzung erklärt, kämpfe ich mit den Tränen. Fünf Monate Pause, mindestens. Ich war doch gerade erst drei Monate weg. Meine Rückkehr zum FC Bayern werde ich mit Beinschiene feiern. Was wird das überhaupt für eine Rückkehr werden?
    Die Geschichten der Profis, die einen Kreuzbandriss nie richtig verkraften konnten, geistern durch meinen Kopf. Schon wieder werde ich mich langsam und bedächtig zurückkämpfen müssen, nur diesmal nicht zum VfB Stuttgart, sondern in die Mannschaft des FC Bayern, was schon für jeden Spieler, der topfit ankommt, eine Herausforderung ist. Für eine Sekunde merke ich, dass ich jetzt selbstmitleidig werden könnte, wenn ich nicht aufpasse. Deshalb fische ich erst Mal das Handy aus der Tasche und beginne zu telefonieren.
    Ich rufe meine Freundin an und meine Eltern.
    »Oh nein, Philipp.«
    Roman erwische ich in seiner Agentur.
    »Sitzt du?«, frage ich ihn.
    »Nein, aber ich kann mich setzen. Was ist?«
    »Kreuzbandriss.«
    Es dauert nur ein paar Minuten und wir sind schon mit den Aufräumarbeiten dieser Katastrophe beschäftigt. Roman wird dem FC Bayern Bescheid sagen. Wo die Operation stattfinden könnte, diskutieren wir, wie die Reha aussehen könnte, wer involviert werden muss, wie die nächsten Schritte aussehen. Das Gespräch ist lang. Danach fühle ich mich besser.
    Ich bin zurück in der Realität, in meiner neuen, nach Krankenhaus und Desinfektionsmittel riechenden Realität, aber ich denke nicht mehr darüber nach, wie schön es gewesen wäre, mich am letzten Spieltag mit dem Spiel gegen den FC Bayern vom VfB Stuttgart zu verabschieden und Danke zu sagen für zwei Saisons, die großartig waren.
    Statt dessen geht es um schnelle, pragmatische Entscheidungen. Zuerst einmal: wo findet die Operation statt?
    Diesmal braucht es keine Krisendiplomatie mehr

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