Der feine Unterschied
ich tun werde. Der Rest ist Diplomatie, denn der VfB Stuttgart muss meiner Entscheidung, mich bei Dr. Seebauer in München operieren zu lassen, erst zustimmen. Aber es gehört zur Verantwortung des Profis, Entscheidungen so herbeizuführen, wie er sie haben möchte. Schließlich geht es um meine Knochen, um meine Zukunft.
Jeder Spieler hat das Recht, sich von dem Arzt behandeln zu lassen, dem er vertraut - wenigstens in der Theorie. Denn in der Praxis ist die Wahl des Arztes - des Krankenhauses, des Chirurgen - oft eine Prestigesache. Der Verein möchte sich durchsetzen, der Spieler möchte sich durchsetzen. Wenn — wie jetzt bei mir - sogar zwei Vereine an der Planung beteiligt sind, wird die Sache zum Psycho. Denn Stuttgart fürchtet vielleicht, dass in München meine Rückkehr verzögert werden könnte, weil es dem FC Bayern wichtiger ist, dass ich in der kommenden Saison fit bin. Der FC Bayern wiederum könnte argwöhnen, dass ich zu schnell gesundgeschrieben werden könnte, wenn mich ein Stuttgarter Arzt operiert.
Ich blende dieses Geplänkel aus, konzentriere mich ganz auf mich selbst und beschließe, meinem Körper in Zukunft noch viel genauer zuzuhören als bisher.
Gleichzeitig beruhigt mich die einstimmige Auskunft aller Ärzte, dass ich meine Verletzung nicht durch eine Unachtsamkeit herbeigeführt habe oder durch nachlässige Freizeitgestaltung. Wäre der Knochen nicht in der Halle gebrochen, wäre es beim Joggen im Wald oder spätestens bei Beginn des Belastungstrainings passiert.
Jetzt steckt der rechte Fuß für sechs Wochen im Gips. Ich gehe auf Krücken und kann nicht Auto fahren. Plötzlich bin ich meine ganze Selbständigkeit los - ohne Hilfe geht gar nichts. Zu jedem Einkaufen und zu jeder Therapiesitzung muss mich jemand chauffieren. Am schlimmsten finde ich aber, dass ich sogar um Hilfe bitten muss, wenn ich mir am Buffet den Teller vollgeschaufelt habe. Mit Krücken hast du nämlich keine Hand frei, um den Teller zu deinem Tisch zu tragen.
Während der Fuß ruht, bleibt der Rest meines Körpers im Training. Ich spule virtuelle Kilometer auf dem Hometrainer ab und stemme Tonnen im Kraftraum. Der Rhythmus meines beschleunigten Pulsschlags tröstet mich genauso wie das Strömen des Schweißes. Für einen Sportler gibt es nichts Schlimmeres als Stillstand.
Als mir der Gips abgenommen wird, muss ich erst mal das Vertrauen in den nächsten Schritt wiederfinden. Ich lasse meinen Fuß neu vermessen. Eine winzige Fehlstellung wird diagnostiziert, die dazu führt, dass die Außenseiten meiner Füße stärker belastet werden als das Fußinnere. Da ist der Grund für den Ermüdungsbruch. Der kommt nicht einfach so um die Ecke und sagt Hallo.
Der Orthopäde formt mir Einlagen für meine Fußballschuhe. Die Einlagen helfen mit, die Füße gleichmäßig zu belasten. Schon in den Tagen, als ich mich langsam wieder an meine alten Bewegungsabläufe zu gewöhnen versuche, spüre ich, dass sich etwas verändert hat. Ich bin sensibler geworden. Der Orthopäde muss nur eine Winzigkeit an den Einlagen verändern und meine Fußsohlen geben Rückmeldung. »Es war doch nur ein halber Millimeter«, sagt der Orthopäde. Ich glaube, ich kann auch einen Viertelmillimeter spüren. Vielleicht bin ich mit der Prinzessin auf der Erbse verwandt.
Mein Physiotherapeut schärft mir ein, dass ich genau auf mich hören soll. Jede Belastung, jede Schattierung von Erschöpfung, jeder noch so geringe Schmerz: in meiner Wahrnehmung müssen sich diese Details zur Botschaft zusammensetzen, dass ich gut im Training stehe, dass ich zusetzen kann oder dass der rekonvaleszente Fuß noch Schonung braucht. Ich bin selbst überrascht von mir. Mein Körperbewusstsein ist durch Verletzung und Pause viel intensiver geworden.
Der Fuß heilt programmgemäß. Keine Komplikationen, aber auch keine Wunder. Ich steige wieder ins Mannschaftstraining ein. Ende März melde ich mich fit. Ich sitze bei zwei Spielen auf der Bank. Am 9. April werde ich gegen Schalke zwanzig Minuten vor Schluss eingewechselt, und das Gefühl, wieder auf dem Platz zu stehen, ist viel weniger pathetisch, als ich gedacht hätte. Es fühlt sich normal an. Mein Fuß fühlt sich normal an. Ich habe keine Angst. Wir gewinnen durch drei Tore von Kevin Kuranyi 3:0.
Eine Woche später werde ich gegen Hansa Rostock erneut spät eingewechselt, in der Runde darauf stehe ich gegen den VfL Wolfsburg zum ersten Mal nach meiner Verletzung wieder in der Startelf.
Prima, denke ich, noch
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