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Der feine Unterschied

Titel: Der feine Unterschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philpp Lahm
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Aber während die anderen, seriösen Fluggäste im luxuriösen Frontabteil des Fliegers sich geräuschlos in ihre Komfortsitze verabschieden, halten Roman und ich einander wach. Wenn Roman zwischendurch einmal verstummt, bekommt er meinen Ellenbogen zu spüren: »He, du sollst mich wach halten ...«
    Wir schaffen es die ganze Nacht, uns im stratosphärischen Brummen des Flugzeugs an die Anweisungen des Docs zu halten. Erst eine Stunde vor der Landung reagiert Roman nicht mehr auf meine Versuche, ihn am Schlafen zu hindern. Etwas später nicke auch ich ein. Eine halbe Stunde danach landet der Flieger in Frankfurt.
    Roman hat gemeinsam mit Uli Hoeneß vorbereitet, wie die Reha-Arbeit in den nächsten Wochen ablaufen soll. Uli Hoeneß wünscht sich, dass die Therapie auf dem Gelände des FC Bayern stattfindet.
    Aber das ist ein Problem. Es sind Sommerferien, sämtliche Betreuer und Physiotherapeuten sind auf Urlaub.
    Uli Hoeneß macht ein paar Anrufe.
    Darauf muss jeder der drei Physiotherapeuten für eine Woche aus dem Urlaub zurückkommen, um mit mir zu arbeiten. Ein idealer Einstand, um sich Freunde fürs Leben zu machen.
    Das Vereinsgelände an der Säbener Straße ist verwaist, als ich mich aus Vail zurückmelde. Eigentlich habe ich mir meine Rückkehr zu meinem Stammverein anders vorgestellt, irgendwie triumphaler. Immerhin bin ich vor zwei Jahren als Regio-nalligaspieler aufgebrochen und komme als Verteidiger der Deutschen Nationalmannschaft zurück.
    Aber die Nationalmannschaft absolviert gerade ohne mich den Confederations Cup 2005, der traditionell ein Jahr vor jeder WM als Generalprobe in den WM-Stadien ausgetragen wird. Die Mannschaft macht eine gute Figur, steigt ins Semifinale auf. Die Stimmung bei den Fans ist bestens, man bekommt schon eine Vorahnung, was nächstes Jahr bei der WM abgehen wird. Basti Schweinsteiger und Lukas Podolski spielen ein super Turnier, die Zeitungen sind voll von Schweini & Pol-di, die junge WM-Mannschaft hat plötzlich ein Gesicht, aber ich sehe dieses Gesicht nur im Fernsehen.
    Noch ist an Training im engeren Sinn nicht zu denken. Ich werde gepflegt, mein Knie wird gebeugt und gestreckt, hie und da lege ich mich auf eine Pritsche im Fitnessraum und stemme Gewichte, damit ich nicht verlerne, wie es sich anfühlt, zu schwitzen.
    An manchen Tagen kommen andere Verletzte vorbei, manchmal trainieren auch Jugendmannschaften auf den hinteren Plätzen. Ich beuge, strecke, tue alles, um mein Knie wieder in Ordnung zu bringen.
    Wieder hilft mir mein gesteigertes Körperbewusstsein, um besser zu verstehen, was mein Körper braucht - und was nicht. Ich lerne sogar, meinen Ehrgeiz zu bezähmen, das immer drin-gendere Gefühl, mich wieder zu bewegen, so zu bewegen wie früher - und endlich wieder Fußball spielen zu dürfen.
    Der Sommer geht vorbei, die Mannschaft kommt aus dem Urlaub zurück. Manche Spieler kenne ich noch aus der Jugend, manche von den kurzen Trainingseinheiten, zu denen mich Hermann Gerland um den Zaun geschickt hat. Der Kern der Mannschaft besteht aus Michael Ballack, Mehmet Scholl, Oli Kahn, Jens Jeremies, Willy Sagnol, Owen Hargreaves, Roy Ma-kaay. Bixente Lizarazu, der linker Verteidiger spielt, hat noch einmal einen neuen Vertrag für ein Jahr bekommen, nachdem ich mich verletzt hatte. Ich muss schlucken, wenn ich mir vorstelle, dass für die kommende Saison eigentlich ein Stammplatz für mich vorgesehen war.
    Aber ich verbiete mir, darüber nachzudenken. Ich verbiete mir jede plastische Vorstellung davon, wie die Wochen, die Monate, bis ich fit sein werde, aussehen werden. Ich akzeptiere, dass mein Alltag ein anderer ist als der meiner Kameraden. Ich weiß, dass ich Geduld haben muss. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass meine Geduld die richtige Investition in die Zukunft ist. Dass ich nach meiner Verletzung wieder dort stehen werde, wo ich vorher stand.
    Mein Physiotherapeut wird zum engen Vertrauten. Wir reden miteinander in Chiffren. Was mit meinem Knie schon geht, was noch nicht. Der Fitnesstrainer stößt dazu. Er stellt einen Plan auf. Kraftraum, Massage, Unterwassergymnastik, Stabilisierungsübungen.
    Und immer wieder die Frage: Geht es? Oder reagiert das Knie beleidigt? Ist es um eine Spur dicker geworden als gestern? Müssen wir ein paar Prozent von der Intensität des Trainings wegnehmen?
    Die Mannschaft steuert inzwischen auf den Saisonstart zu.
    Der Trainer erkundigt sich bei Gelegenheit nach meinem Zustand. Trost darf man sich von ihm nicht

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