Der feine Unterschied
erwarten. Für ihn bin ich jetzt in erster Linie Personalreserve für die zweite Hälfte der Saison. Verletzungen sind im Fußball etwas Normales, und der Trainer muss in erster Linie aus seinen gesunden Spielern eine Mannschaft formen, die Erfolg hat. Wie das funktioniert, hat er gerade bewiesen. Felix Magath ist mit dem FC Bayern in seiner ersten Saison Deutscher Meister und Pokalsieger geworden.
Nach ein paar Wochen darf ich zum ersten Mal wieder laufen gehen. Der Fitnesstrainer und ich bewegen uns wie die Schnecken auf dem hintersten Platz, am ersten Tag genau eine Minute lang. Das Knie zirpt nicht einmal. Mal sehen, wie es morgen früh aussieht.
»Beim geringsten Schmerz brichst du ab, Philipp«, sagt der Physio.
Keine Sorge.
Am nächsten Morgen ist das Knie okay.
Also heute zwei Minuten. Am nächsten Tag fünf.
Während die Kollegen in die Bundesligasaison einbiegen, feiere ich einen kleinen Sieg nach dem nächsten. Zehn Minuten laufen, dreißig Minuten laufen.
Das Gefühl, dass das Knie bei Bewegungen nach vorne und zurück keine Probleme macht. Erste Übungen für seitliche Bewegungen, Stärkung der Muskulatur im Fitnessraum, und eines Tages - cool - bekomme ich den Ball zurück.
Für einen Fußballprofi gibt es kein schöneres Geschenk. Endlich wieder spielen, nicht nur diese ewige Arbeit am Körper. Ich fange an, wieder daran zu denken, wie ich den Ball nehme, wohin ich ihn schießen will. Ich merke, wie ich für Minuten vergesse, dass ich noch nicht fit bin. Aber diese Minuten machen mich glücklich. Sie beweisen mir, dass meine Freude am Kicken nicht gelitten hat.
Irgendwann sagt mir der Fitnesstrainer, dass ich das Aufwärmtraining mit den anderen Profis mitmachen kann. Nach dem Aufwärmen nimmt er mich wieder zur Seite und setzt das Aufbauprogramm fort.
Es dauert noch ein paar Wochen, dann steige ich voll ins Training ein. Es ist Herbst geworden, die Stimmung an der Sä-bener Straße ist manchmal bunt und manchmal grau.
Der Trainer nimmt mich beiseite und fragt mich, wie es mir geht. Ich merke, dass er sich bei meinen Betreuern erkundigt hat und dass er darüber nachdenkt, wie er mich am besten wieder an die Mannschaft heranfuhren kann.
»Gut«, sage ich.
»Schmerzen?«
»Keine.«
»Traust du dir zu, zu spielen?«
»Ich denke schon.«
»Du probierst es zuerst bei den Amateuren.«
Am 15. November 2005, um sieben Uhr abends, laufe ich vor 5000 Zuschauern im Jahnstadion gegen Jahn Regensburg auf. Es ist fast auf den Tag genau ein halbes Jahr her, dass ich mich verletzt habe. Vor vier Tagen bin ich 22 Jahre alt geworden.
Es ist ein Riesenspaß, wieder Fußball zu spielen. Aber ich merke, dass mir noch einiges fehlt, um souverän auf dem Platz zu stehen, die Fäden, die der Gegner zieht, vorauszuahnen und mit scharfem Stellungsspiel zu durchschneiden. Mir fehlen Kraft, Luft und Beweglichkeit, aber das Spiel selbst ist ein offenes Buch für mich. Nur kann ich noch nicht entscheidend in die Handlung eingreifen.
Zur Pause steht es 0:1, und ich werde wie vereinbart ausgewechselt. Als wir in die Kabinen traben, habe ich ein Flashback. Es ist gerade erst zwei Jahre her, dass ich mit dieser Mannschaft Meisterschaft gespielt habe, mit ganzem Einsatz, mit Herzblut und Leidenschaft, und jetzt ist sie bloß noch ein Mittel zum Zweck, um wieder fit für die Profis zu werden.
Vier Tage später gebe ich endlich mein Bundesligadebüt für die Profis des FC Bayern. Aber was heißt Debüt? Feierlich ist anders. In Bielefeld schickt mich der Trainer nach einer Stunde für Bixente Lizarazu aufs Feld. Die Mannschaft tut sich sauschwer gegen einen Gegner, der nach dem schnellen Führungstor nur aufs Verteidigen bedacht ist, dann schießt Claudio Piz-zaro in den letzten acht Minuten zwei Tore, und wir gewinnen gegen den Abstiegskandidaten mit Ach und Krach 2:1.
Keine Beschwerden. Ich gehe mit demselben körperlichen Aufwand wie immer zur Sache. Mir fehlt noch die Spritzigkeit, die Selbstverständlichkeit im Spiel, aber ich habe keine Angst. Ich fühle mich nicht unsicher. Der Gedanke, dass mein Knie nicht halten könnte, ist nicht mehr in meinem Kopf.
Für einen Augenblick spüre ich wieder die Demut, die mich manchmal in den letzten Monaten überfallen hat. Alles ist sehr schnell gegangen, sodass ich das Gefühl habe zu fliegen. Aber ich habe etwas gelernt. Wer fliegt, darf keine Angst haben zu fallen.
Mitte der Woche spiele ich wieder eine Halbzeit in der Regionalliga. Spielen ist mein liebstes Training.
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