Der feine Unterschied
unwirklich genug. Wir und die aristokratische Ruhe im Schlosshotel, und draußen vor der Tür warten Hundertschaften von Fans hinter dem Zaun, nur um einen Blick auf einen deutschen Nationalspieler zu erhaschen. Besser eine Partie Tischtennis spielen, als anzufangen, darüber nachzudenken.
Gemeinsam mit meinen Eltern sehe ich, wie Schweden gegen England unentschieden spielt, was England für den Gruppensieg genügt. Unser Gegner im Achtelfinale ist also Schweden, und das Spiel findet zu Hause statt, in München.
Die Mannschaft ist gut beisammen. Die Vorbereitung hat darauf gezielt, dass wir im Achtelfinale konditionell top sind -was auch ein bisschen darauf schließen lässt, wie wenig wir uns eigentlich zugetraut haben. Die Gruppenphase, ja, die überstehen wir, und im Achtelfinale müssen wir alle Register ziehen, um unser eigentliches Ziel, ins Viertelfinale zu kommen, Wirklichkeit werden zu lassen.
Deutschland ist eine Turniermannschaft. Das wird vor jeder EM und WM wiederholt, als wäre es eine höhere Weisheit. Aber es ist kein Zufall, wenn eine Mannschaft die spezifischen Anforderungen von Turnieren gut bewältigt, sondern das Resultat erstklassiger Vorbereitung nach dem Ende der Klubsaison.
Die Mannschaft hat nach einer Woche Erholung, in der die schwere Saison aus Beinen und Köpfen raus sollte, individuell Fitness trainiert. Die Spieler, die im Klub viel gespielt haben, geben ein bisschen weniger Gas als die, die zusätzliche Trainingseinheiten gut brauchen können, weil sie in der Meisterschaft nicht immer zum Einsatz kamen. Dann zwei, drei Tage Heimaturlaub, anschließend geht es mit Athletik- und Schnelligkeitsübungen weiter. In der letzten Phase der Vorbereitung geht es um taktische Verfeinerung. Es folgen noch mal zwei Tage zu Hause, ausspannen, Kopf frei machen, und dann rückt die Mannschaft ins WM-Quartier ein.
Ich habe an diesem Programm kaum teilnehmen können, weil ich mit dem Ausheilen meines Armes beschäftigt war. Aber ich sehe spätestens, als wir in München in das Spiel gegen Schweden gehen, welch guten Job die Konditions- und Fitnesstrainer gemacht haben. Die Mannschaft, fit wie ein Turnschuh. Podolski haut schon in der vierten Minute einen Abpraller nach Schuss von Miro Klose rein, acht Minuten später steht es 2:0, wieder durch Podolski, und wir geben Gas und sind präsent und heiß und gefährlich, dass es plötzlich so aussieht, als könnte uns nichts und niemand stoppen.
Es ist dieser Rausch, in den dich nur der Erfolg versetzt. Die Sicherheit, dass jeder Gedanke, den du hast, auf dem Rasen Wirklichkeit wird. Dass du nicht über banale, technische Fehler stolperst, wenn du einen genialen Einfall hast. Den Ball in die Tiefe spielst, und dort taucht der richtige Spieler auf, der wieder das Richtige tut, und alles sieht so selbstverständlich und mühelos aus, weil jeder Spieler sicher ist, dass jeder andere versteht, was er vorhat. So ist es nur, wenn Unsicherheit und Zweifel draußen vorm Stadion geparkt sind und nicht mit aufs Spielfeld dürfen.
In der 35. Minute wird der Schwede Lucic ausgeschlossen, und wir spielen elf gegen zehn, Powerplay. Eine Schrecksekunde kurz nach der Pause, als die Schweden einen Elfmeter über das Tor nageln, aber dann geht es schon weiter auf der schiefen Ebene vor ihr Tor, wir schießen zweimal an den Pfosten und vergeben eine Menge Chancen, ein 4:0 oder 5:0 hätte den Spielverlauf besser abgebildet als das Endergebnis von 2:0.
Aber wir gehen stolz vom Platz, jeder von uns zehn Zentimeter größer als beim Anpfiff. Ich bin also immerhin einmal 1,80 groß.
Nach dem Spiel ruft mich Andi Ottl an, mein Freund und früherer Bayern-Kollege.
»Du kannst dir das nicht vorstellen, Philipp«, ruft er ganz heiser ins Telefon. »Weißt du, was auf den Straßen los ist? In der Kneipe stehen die Leute auf, wenn unsere Nationalhymne gespielt wird, und singen mit.«
Er hat offenbar auch tüchtig mitgesungen, sonst wäre er nicht so heiser.
Was ist denn hier los, denke ich mir schon wieder.
Am selben Abend wird im Spiel Mexiko gegen Argentinien unser Viertelfinalgegner ermittelt. Die Mexikaner wären uns ei-gendich lieber, aber die Stimmung in der Mannschaft ist fokussiert, heiter und selbstbewusst, wir fürchten uns auch vor Argentinien nicht mehr. Umgekehrt, schnell macht der Spruch die Runde, dass es die Argentinier sind, die sich vor uns fürchten müssen.
Ich meine, wer hätte das gedacht, als wir vor drei Monaten in Florenz von Italien abgewatscht
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