Der feine Unterschied
wurden? Jetzt stehen wir im Viertelfinale der WM und haben ein Selbstvertrauen wie Superman und Batman zusammen.
Die Argentinier gewinnen ihre Partie erst in der Verlängerung. Maxi Rodriguez macht das 2:1, ein Traumtor. Er nimmt eine hohe Flanke mit der Brust an der linken Strafraumecke an, dreht sich um und schießt den Ball in die lange Ecke, zehn Zentimeter unter die Latte.
Die Journalisten sind sich ausnahmsweise mit uns einig: Deutschland gegen Argentinien, dieses Viertelfinalspiel ist, gemessen an den bisherigen Leistungen aller Mannschaften im
Turnier, das vorweggenommene Finale. Beide Teams sind durch ihre Spiele gestürmt, ohne Wackler, straight forward.
Argentiniens Spiel steht und fallt mit dem Mittelfeldregisseur Román Riquelme von Villarreal, und gegen uns ist Riquelme in Spiellaune. Argentinien ist in diesem Spiel klar überlegen, aber was heißt das schon? Sie haben viel Ballbesitz, aber wir stehen hinten kompakt, aufmerksam und selbstbewusst. Riesenchancen lassen wir nicht zu, nur ein paar Schüsse von außerhalb des Strafraums. Das Spiel ist sehr hart. Die Argentinier versuchen, uns den Schneid abzukaufen, aber wir halten dagegen. Ein intensives, aufgeladenes Spiel ohne große Möglichkeiten, zur Pause steht es o : o.
In der 49. Minute Eckball von Riquelme, ich stehe an der kurzen Ecke, der Ball kommt hoch in den Fünfmeterraum, plötzlich taucht Ayala auf, erwischt den Ball voll und köpft ihn genau zwischen Jens Lehmann und mich, Jens erwischt den Ball nicht, und ich sehe ihn zu spät und komme nicht mehr hin, spüre nur noch den Luftzug am Schienbein, es steht 1:0 für Argentinien. Jetzt ist klar: leicht wird es nicht, diesen Rückstand aufzuholen. Zu dicht stand die Abwehr der Argentinier bisher, zu dominant agierte das Mittelfeld mit Riquelme, Mascherano und Rodríguez.
Es passiert zwanzig Minuten lang - nichts. Wir bemühen uns, aber Argentinien lässt uns nicht ins Spiel kommen. Sie stehen hinten dicht und kontrollieren im Mittelfeld mit enervierender Sicherheit das Spiel.
Aber dann nimmt der argentinische Trainer José Pekerman, ein eleganter Herr mit etwas zu langen grauen Haaren, zuerst Riquelme und dann Crespo runter. Keine Ahnung, was er sich dabei denkt, vermutlich will er seine Stars, die gegen Mexiko über 120 Minuten gehen mussten, schonen, vielleicht will er uns auch nur verhöhnen, schaut her, gegen euch brauchen wir nicht einmal Bestbesetzung. Tatsache ist, dass die Aktion gründlich schiefgeht.
Denn plötzlich bekommen wir die erste handfeste Chance in diesem Spiel. Einwurf von links, Michael Ballack, etwa dreißig Meter vor dem Tor, ich spiele ihm den Ball zurück, Balle flankt hoch in den Strafraum, der lange Borowski legt den Ball weiter, und dann sieht Miro Klose zum ersten Mal in diesem Spiel einen Ball gegen diese Defensive, und diesen Ball köpft er zum Ausgleich ins Tor, und für einen Moment gerät das Magnetfeld um die Erde aus den Fugen, die Zuschauer im Stadion haben zum ersten Mal in diesem Spiel etwas zu lachen, und das tun sie jetzt, 1:1, alles wieder offen, nur dass die Argentinier ihre besten Spieler nicht mehr auf dem Platz haben. Herzlichen Dank, Señor Pekerman.
Verlängerung. Das Spiel plätschert vor sich hin, keiner will noch etwas riskieren. Wir spielen auf ein Elfmeterschießen zu, bedacht, keinen Fehler mehr zu machen, keine Lücke zu reißen in diese entschlossene, motivierte Defensive.
Ein paar Minuten vor Ende der Verlängerung bekomme ich den Ball und spiele ihn knapp vor dem Sechzehner quer. Unsere Innenverteidiger sind schon dabei, nach vorne zu laufen, der Ball rollt langsam in ihren Rücken, gefühlte zwanzig Sekunden lang. Ich erstarre. Hätte ein gegnerischer Stürmer gespannt, was hier gerade passiert, dann wäre alle Mühe umsonst gewesen, eine Gedankenlosigkeit, und ein so wichtiges Spiel wäre verloren.
Wäre. Konjunktiv. So nah liegen im Fußball Glück und Versagen beisammen. Ich habe bis jetzt eine super WM gespielt, der große Pelé hat mich ausdrücklich gelobt, Diego Maradona sagte, dass ich einer der besten Außenverteidiger der Welt bin. Aber einer der besten Außenverteidiger der Welt denkt gerade, dass er seine Mannschaft jetzt fast aus dem Turnier gekegelt hätte, dabei hat es niemand außer mir gemerkt, das Spiel läuft gerade so unwirklich ruhig dahin, dass der Gegner wie betäubt ist und seine Chance nicht sieht, und Per Mertesacker dreht sich seelenruhig um, holt sich den Ball und spielt ihn weiter nach vorne, und
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