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Der feine Unterschied

Titel: Der feine Unterschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philpp Lahm
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    Tim Borowski lässt den argentinischen Torwart Leo Franco nach rechts springen und schiebt den Ball souverän in die linke Ecke.
    Wir kommen der Entscheidung immer näher.
    Eine aggressive Stimmung schlägt uns von der argentinischen Seite des Mittelkreises entgegen. Rodriguez hat Lehmann schon irgendetwas Unschönes an den Kopf geworfen, und Bo-rowski revanchiert sich, indem er nach verwandeltem Elfmeter zurück in den Mittelkreis trottet und mit dem Zeigefinger anzeigt: »Ihr werdet heute nicht gewinnen. Ihr nicht.«
    Ich glaube, wenn Cambiasso nicht zum nächsten Schuss dran gewesen wäre, hätte es im Mittelkreis eine Schlägerei gegeben.
    Cambiasso läuft weit an, nagelt den Ball halbhoch nach rechts, aber Jens Lehmann ist dran, der Ball prallt ab, rollt irgendwohin, wo er keinen Menschen mehr interessiert, wir sind im Halbfinale, und alle rennen zu Jens, um ihm zu gratulieren, die Jungs von der Ersatzbank legen Sprints hin und sind vor uns am Drücker, und die Party hätte von mir aus schon beginnen können, nur die Argentinier spielen nicht mit.
    Auf dem Weg zu Jens Lehmann ein Tumult. Plötzlich sehe ich Per Mertesacker am Boden liegen. Hey, hey, hey, was ist hier los? Beim Ausgang balgen sich argentinische Ersatzspieler und Betreuer mit Spielern von uns, plötzlich spüre ich wie einen Temperatursturz die Aggression der Verlierer, Trubel, Gerempel, und was jetzt im Detail passiert, sehe ich wie alle anderen erst in der Nachbearbeitung durch das Fernsehen, das die hässlichen Szenen nach diesem für uns so großartigen Sieg entschlüsselt.
    Per Mertesacker wurde offensichtlich mit Tim Borowski verwechselt, dem ein Ersatzspieler die Geste während des Elfmeterschießens nicht verzieh - er trat Per, als er vom Platz gehen wollte, nach Karatemanier in den Unterleib, Gott sei Dank wurde Per dabei nicht verletzt.
    Aber auch für uns hat die Sache Auswirkungen. Torsten
    Frings, der sich im Gerangel gegen einen Argentinier gewehrt hatte, wird von der FIFA wegen Tätlichkeit für das Halbfinale gesperrt. Ich meine, geht's noch? Es besteht kein Zweifel daran, wer den Streit nach dem Spiel vom Zaun gebrochen hat, und trotzdem werden wir bestraft. Gerechtigkeit ist etwas anderes.
    Spätabends nach dem Spiel sind wir zurück im Hotel. Im Abendspiel hat Italien gegen die Ukraine 3:0 gewonnen. Die Italiener sind also unser Gegner im Halbfinale. So sieht man sich wieder.
    Jetzt bloß nicht schlafen gehen.
    Wir sitzen draußen auf der Terrasse des Hotels und reden. Im Park ist es dunkel, der Sommer ist ein Traum, er hüllt uns mit seiner Wärme ein, wir trinken, reden, irgendwer holt noch Bier, und dann besprechen wir das Spiel noch einmal, Argentinien, und wir sind weiter, wir haben doch seit Jahren keine große Nation mehr geschlagen, aber es ist wahr, es ist wahr, Wahnsinn, Miros Tor, noch ein Bier, jetzt wird gelacht, gefeiert, so eine famose Story, und wir mittendrin, ist das nicht groß, ist das nicht ein Hammer? Gerade noch ist gar nichts gegangen, und dann pirschen wir uns an und stehen auf einmal im Halbfinale ...
    Es ist spät, als wir schließlich vom Terrassentisch aufstehen. Besser gesagt ist es früh, es ist hell, es ist Tag, und wir stehen im Halbfinale, und die Freude rinnt hinunter wie Wasser, in fünf Tagen, Dortmund, Italien, jetzt erst mal ausschlafen.
    Italien ist so stark, weil die Mannschaft geschlossen verteidigen kann. Wir analysieren die bisherigen Spiele und sehen, wie sich alle Gegner schwergetan haben, Chancen gegen die italienische Defensive herauszuarbeiten.
    Wir arbeiten unsere Taktik aus. Wir wollen das Spiel schnell von links nach rechts verlagern, weil die Italiener es nicht mögen, wenn sie viel laufen müssen. Sie kontrollieren das Spiel gern in der Vorwärts-Rückwärts-Bewegung, aber sie haben Probleme, wenn sie sich nach den Seiten orientieren müssen.
    Wir spielen in Dortmund. Hier hat das Sommermärchen vor drei Wochen begonnen. Wir gehen zuversichtlich in dieses Halbfinale. Der Trainer hat uns motiviert, bis er keine Stimme mehr hatte, aber wer für dieses Spiel motiviert werden muss, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen: wir haben die einmalige Chance, im eigenen Land Weltmeister zu werden, und es fehlen nur noch zwei Spiele, noch ein Spiel und dieses Spiel, volles Stadion, die Nation im Fieber, und wir haben einen klugen Plan.
    Aber wir kriegen unseren Plan nicht gebacken. Die italienische Defensive steht ungeheuer kompakt, und wir sind nicht mehr so frisch wie in den Spielen

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