Der feine Unterschied
entfernt gestanden hatten, ohne Gefühl für das, was der andere tun wird, tun muss, tun kann.
Am Tag nach dem Spiel setzen wir uns mit Jürgen Klins-mann und Jogi Löw zusammen, um das System in unserem Defensivspiel zu korrigieren.
Noch eine Partie mit solchen Löchern in der Abwehr, und wir haben ein ernstes Problem.
Im Spiel gegen Polen funktioniert, was wir uns vorgenommen haben, von Beginn an. Die Mannschaft tritt bärenstark auf, bis zur Pause haben wir uns vier große Chancen erarbeitet und, was genauso wichtig ist, gegen starke Stürmer hinten nichts zugelassen. Wir stehen gut. Jeder von uns hat im Gefühl, wo der andere steht, was er tun wird.
Ich habe viel Platz, um mich in die Offensive einzuschalten. In der ersten Halbzeit kann ich einmal Miro und einmal Po-dolski im Strafraum anspielen, in der zweiten Hälfte komme ich selbst wie gegen Costa Rica zum Schuss, aber der Ball will nicht rein.
Und dann gewinnen wir doch noch.
Wir stehen vorzeitig im Achtelfinale, als wir in Berlin gegen
Ecuador antreten. Die Hymnen werden abgespielt, es ist kurz vor vier Uhr Nachmittag, das Stadion ist voll, überall die Deutschland-Flaggen, die in diesen Tagen zum Straßenbild gehören, und ich denke: Gibt es das? Kann es sein, dass es wirklich so heiß ist?
Die Sonne steht hoch über dem Stadion, keine Wolke am Himmel, und eine höllische Hitze liegt auf dem Spielfeld. Das ist nicht normal, denke ich, normal ist das nicht.
Wir sind durch, aber auch Ecuador hat beide Spiele gewonnen, es geht also um Platz eins in der Gruppe, und den wollen wir uns nicht nehmen lassen. Wenn wir gewinnen, werden unsere nächsten Spiele in München, Berlin, Dortmund und - falls wir ins Finale kommen - wieder in Berlin stattfinden, wir können uns also im entscheidenden Teil der WM auf vertrautem Terrain bewegen. Außerdem wartet auf den Sieger unserer Gruppe der Zweite der Gruppe mit England und Schweden, da ist vielleicht auch noch ein kleiner Vorteil für uns drin. Und drittens ist Gewinnen sowieso das Größte, und in diesen Tagen teilt dieses Gefühl halb Deutschland.
Wir spielen in der Hitze von Berlin nicht besonders gut, aber es ist rasch klar, dass wir gewinnen werden. Miro macht in der vierten Minute das Führungstor und erhöht knapp vor der Pause auf 2:0, Podolski schießt bald nach der Halbzeit das 3:0, dann spielen wir die Partie cool nach Hause, so cool, wie das bei gefühlten 40 Grad Hitze geht.
An den Straßenrändern feiernde Leute. Polizisten, die salutieren, wenn unser Bus vorbeifährt. Noch mehr Autos mit Deutschland-Fahnen. Das Land eine Party, und wir die Hauptpersonen. Was ist denn hier bloß los?
Meine Eltern sind nach Berlin gekommen, wir sitzen im Hotel und schauen uns das Spiel England gegen Schweden an, in dem sich entscheidet, gegen wen wir im Achtelfinale antreten.
Das ganze Schlosshotel Grunewald ist für unsere Bedürfnisse hergerichtet. Wir haben in dem alten, eleganten Gebäude jede Menge Platz, die Zimmer sind edel und komfortabel, wir haben eigene Aufenthalts- und Sitzungsräume, und wenn wir drei Minuten mit dem Auto fahren, sind wir auf dem Trainingsgelände. Fußballfelder, eine Riesentennishalle mit drei Plätzen, ein Fitnessraum mit unseren spezifischen Geräten. Sobald wir hier sind, können wir nach allen Regeln der Kunst regenerieren. Ich spiele abends gern noch eine Stunde Tennis, manchmal legen wir ein Hockeymatch ein.
Das Hotel hat einen großen Garten, in dem wir abends von Zeit zu Zeit sogar mal grillen. Wenn du drei Wochen lang immer am Buffet stehst und dir Schmankerl abholst, kriegst du irgendwann Appetit auf was Einfaches, auf ein Stück Salami und eine Gurke oder auf eine Wurst vom Grill.
Wir haben auch Tischtennistische, eine Dartscheibe und einen Kicker. Oli Bierhoff hat mit Akribie dafür gesorgt, dass niemandem langweilig werden muss. Das ist nicht selbstverständlich. Zwei Jahre davor, bei der EM 2004 in Portugal, war außer einem Bett pro Person und einem Trainingsplatz gar nichts für die Mannschaft da, was nicht unbedingt zu einer besseren Stimmung im Team beitrug, und wir fuhren dann ja auch schon nach der Vorrunde nach Hause.
Ein WM-Turnier ist lang, im besten Fall fünf Wochen. Immer dasselbe Zimmer, dieselben Leute, dieselben Abläufe. Es tut gut, wenn dieser Rhythmus immer wieder unterbrochen wird, wenn man auf andere Gedanken kommt, aus dem Takt dieser »splendid isolation« — wie Jürgen Klinsmann sagen wür-de - ausbricht. Die Situation ist ohnehin schon
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