Der feine Unterschied
mich zu sich. Jogi Löw ist ein präziser Denker mit einem guten Gespür für die taktischen Möglichkeiten einer Mannschaft. Er trifft keine einsamen Entscheidungen. Immer wieder erwägt er in seinem schwäbischen Singsang Möglichkeiten, fragt, hört zu, fragt nach, wägt ab. Wenn eine Entscheidung dann reif ist, sitzt sie.
Die Mannschaft soll in einem 4-5-1-System spielen, das ist klar. Wir diskutieren, wer in diesem System welche Position ideal besetzt.
Miro Klose zum Beispiel hat eine miserable Saison hinter sich. Aber der Trainer vermittelt ihm in jedem Spiel, wie sehr er ihn schätzt, wie sehr er auf ihn setzt. Manche Spieler brauchen die Gewissheit, dass sie nach einem schlechten Spiel trotzdem im nächsten wieder mit dabei sind.
In der Nationalmannschaft ist Miro immer präsent. Er kann beim FC Bayern noch so schlechte Wochen gehabt haben, kaum hat er den Bundesadler auf der Brust, ruft er seine oft gezeigten Qualitäten ab wie nichts.
Hätte der Bundestrainer vor dem Australienspiel entschieden, Cacau oder Mario Gomez als Spitze auflaufen zu lassen, der Boulevard hätte ihm applaudiert. Aber Jogi Löw folgt in seinen Entscheidungen keinen Moden. Er stellt Miro als einzige Spitze vor einem blutjungen Mittelfeld auf, das im Zentrum aus Basti Schweinsteiger und Sami Khedira besteht, an den Seiten aus Po-dolski und Thomas Müller und Mesut Özil hinter Miro Klose.
In der Abwehr stehen Arne Friedrich und Per Mertesacker als Innenverteidiger, Holger Badstuber links, ich rechts. Im Tor Manuel Neuer.
Insgesamt fünf Spieler aus unserer Elf spielen ihr erstes Turnier. Das Durchschnittsalter beträgt keine 25 Jahre. Nur Ghana und Nordkorea schicken noch jüngere Mannschaften in den Wettbewerb.
Als das Spiel in Durban angepfiffen wird, fällt die Nervosität wie ein Netz vom schwarzen Himmel, und es braucht einige Minuten, bis wir uns davon befreien können. Aber das Wie ist entscheidend. Özil spielt auf der rechten Seite Thomas Müller frei, der einen genialen Pass schräg durch den Strafraum zurücklegt auf Lukas Podolski, der an der linken Strafraumecke zum Schuss kommt und den flatternden Jabulani zum ersten Mal am australischen Torhüter vorbei ins Netz schießt, was heißt schießt, donnert!
In diesem Augenblick ist die Nervosität weg. Die Mannschaft wittert: was im Training genial war, ist hier gegen Australien genauso genial, und der Spaß, der uns in der Vorbereitung beseelt hat, bricht aus wie ein Vulkan. Dass es dann Miro Klose ist, der das 2:0 erzielt, fällt fast schon unter die Kategorie Zu-schön-um-wahr-zu-sein.
Thomas Müller und Cacau erhöhen nach der Pause auf 4: o, aber nicht nur das Ergebnis ist ein Glück, sondern vor allem, wie es zustande kam.
Manuel Neuer repräsentiert eine völlig neue Torwartgeneration. Er spielt die Bälle von hinten überragend heraus. Das Mittelfeld schaltet blitzschnell, und statt wie früher die Bälle lang in den gegnerischen Strafraum zu schlagen und auf die Kopfballstärke der eigenen Stürmer zu hoffen, wird munter kombiniert, mit kurzen Pässen, unkonventionellen Einfällen und einer gedanklichen Präsenz, die uns in jeder Phase des Spiels -ausgenommen die ersten paar Minuten - näher am Spiel sein lässt als den Gegner.
Gelächter in der Kabine. Die ganze Mannschaft hat ein spitzbübisches Nicht-schlecht-was?-Lächeln im Gesicht. Erstes Spiel, erste Party, aber dann beginnt schon wieder die spezielle Turnierarithmetik: wir sind gut gestartet, gewiss, aber in der Zwischenrunde sind wir noch nicht. Jetzt zählt das nächste Spiel gegen Serbien, denn mit einem Sieg können wir uns bereits fix qualifizieren. Das schont Nerven und Kraft, und außerdem steht der Beweis noch aus, dass diese junge Mannschaft auch unter Druck so gut spielen kann wie gegen Australien.
Ich mag es sehr, wenn selbst im Training erste Anzeichen von Euphorie sichtbar werden. Dann weiß ich, dass der Erfolg Wirkung zeigt, die Atmosphäre lockert, den Glauben an die Mannschaft stärkt. Aber als erfahrener Spieler weiß ich genauso, dass ein gutes Spiel allein noch gar nichts bedeutet. Im Fußball passiert so schnell etwas Unvorhergesehenes. Zum Beispiel hat die Schweiz gerade Spanien geschlagen. Gibt’s das?
In der zweiten Partie gegen Serbien tun wir uns deutlich schwerer als gegen Australien. Wir kommen nicht besonders gut ins
Spiel, dann kassiert Miro Klose für sein zweites Foul in diesem Spiel die gelb-rote Karte, ein Witz. Wir müssen ab der 37. Minute in Unterzahl
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