Der feine Unterschied
unglücklich verloren und nicht damit gehadert, sondern die richtigen Schlüsse gezogen. Wir sind mit der ganzen Konzentration, die es dafür braucht, in ein Entscheidungsspiel gezogen und haben es gewonnen. Das ist keine Mannschaft mehr, die mit ihrem Talent ein Versprechen für die Zukunft ist. Sie löst das Versprechen jetzt ein.
Die Vuvuzela ist inzwischen das wahre Maskottchen dieser WM. Kein TV-Kommentator, der sich nicht lang und breit für den Sound dieser Kindertrompeten bei seinen Zusehern entschuldigt hätte. Ein anwesender Tontechniker erzählt uns nach einem Interview im Quartier, dass seine Anstalt sogar spezielle Filter über die Tonspur der Live-Übertragungen legen würde, um das permanente Trompeten wegzublenden.
Wir brauchen keine Filter, um uns vor den Vuvuzelas zu schützen. Auf dem Platz ist ihr Lärm weit genug entfernt, um uns nicht abzulenken. Wenn ein Spiel einmal begonnen hat, hören wir sie gar nicht mehr, kein Vergleich zum Klangteppich im Fernsehen.
Achtelfinale gegen England, Nachmittagsspiel in Bloemfon-tein, der Stadt der Blumen. Wir wissen, dass wir gegen die Briten unsere Chance haben werden. Sie haben in der Vorrunde eher mau gespielt und hatten große Probleme im Spielaufbau. Danach richten wir unsere Taktik aus: wir werden relativ tief stehen und auf schnelle Konter setzen.
Nach einer halben Stunde fuhren wir 2:0. Beim ersten Tor geht alles fast zu einfach: Neuer schlägt flach und weit in die Mitte der gegnerischen Hälfte ab, die englische Verteidigung schläft, da ist Miro Klose schon durch, lässt sich vom Verteidiger nicht mehr wegrempeln und schiebt den Ball am Torwart vorbei ins Netz.
Zehn Minuten später eine Superkombination Marke außerirdisch. Miro Klose, der im rechten Mittelfeld auftaucht, spielt den Ball mit dem Außenrist in den Lauf von Thomas Müller, der legt quer zu Podolski, und Podolski knallt den Ball durch die Beine des englischen Keepers in die lange Ecke. Grandios!
Für einen Moment sieht es so aus, als hätten wir Flügel bekommen. Alles gelingt. Jeder Pass kommt an, und in der Luft liegt ein eigentümliches Kichern, als würde sich der Ball mit uns amüsieren.
Nach einem Eckball holt England ein Tor auf, und schon verstummt das Kichern. Jeder von uns weiß, dass die englischen Spieler Qualität haben, was uns gleich darauf ein Bogenschuss von Frank Lampard bestätigt, der von der Latte ins Tor hüpft und wieder heraus. Manuel Neuer schnappt sich den Ball und tut so, als wäre nichts passiert.
Ich stehe am Sechzehner und sehe ganz genau, dass der Ball hinter der Linie aufschlägt, fast einen Meter hinter der Linie, aber der Augenblick, in dem der Schiedsrichter pfeifen müsste und energisch zur Mitte deuten, dehnt sich länger als erwartet, und während die Engländer alle auf dem Feld stehen und sich den Kopf halten, als hätten sie gestern Abend zu viel Guinness getrunken, geht das Spiel tatsächlich weiter, und ich denke mir nur, Respekt, der Linienrichter traut sich was.
Selbstverständlich ist eine Fehlentscheidung wie diese der pure Wahnsinn. Ich muss mir nur vorstellen, wie ich aus der
Haut gefahren wäre, wenn der Schiedsrichter uns so ein Tor aberkannt hätte. Wenn man sich vor Augen hält, welch enormes Unternehmen so eine WM darstellt, wie viel Geld in die Vorbereitung des Turniers, in die Selektion aller Mannschaften, in die perfekte Vorbereitung jedes einzelnen Spielers investiert wird, dann ist die Tatsache, dass ein Linienrichter für einen Augenblick schlecht sieht und damit ein Spiel entscheiden kann, geradezu lächerlich. Ich hoffe, dass Entscheidungen wie diese in Zukunft unmöglich gemacht werden, durch welche Hilfsmittel auch immer.
Aber natürlich ist es für uns perfekt, mit 2:1 in die Pause zu gehen. Geschenk angenommen, herzlichen Dank.
In der zweiten Halbzeit spielen wir so, dass alle Diskussionen über Lampards nicht gegebenes Tor augenblicklich hinfällig sind. Wir stehen super. Wir lassen keine Chance der Engländer mehr zu, höchstens eine halbe. Wir spielen zwei überragende Konter und gewinnen 4:1.
Es ist nicht nur großartig, dass wir England schlagen. Noch großartiger ist, wie wir England schlagen. Die Schnelligkeit unserer Konter, die Eleganz des Spiels, die Sicherheit im Passspiel, das oft nur mit einem Ballkontakt jedes Spielers auskommt. Mesut Özil ist für dieses Spiel wie geschaffen, er hat sowohl die Technik als auch den Blick dafür, aber diese Fähigkeiten wirken plötzlich ansteckend: wie Miro
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