Der feine Unterschied
weiterspielen. Eine Minute später erzielen die Serben das 1:0.
Aber wir halten auch zu zehnt dagegen. Sami Khedira nagelt den Ball kurz vor der Pause an die Unterkante der Latte, den Nachschuss von Thomas Müller kratzt ein Serbe gerade noch von der Linie. Nach der Pause spielen wir phasenweise auf ein Tor, erarbeiten uns eine Chance nach der anderen, kriegen aber den Ball nicht hinein, nicht einmal vom Elfmeterpunkt: nach einem Handspiel von Nemanja Vidic schießt Lukas Podolski den Strafstoß so unplatziert, dass der serbische Torhüter abweh-ren kann.
Die Niederlage gegen Serbien fühlt sich für mich anders an als andere Niederlagen. Wir haben phasenweise wieder ausgezeichnet gespielt, elf starke Serben mit zehn Mann kontrolliert und in die Defensive gedrängt, und mit ein bisschen Glück hätten wir auch ohne Weiteres den Ausgleich machen können. Wir dürfen nach wie vor zuversichtlich sein.
Andererseits stehen wir wieder genau vor der Situation, die wir uns ersparen wollten: das letzte Gruppenspiel gegen Ghana müssen wir gewinnen, sonst sind wir draußen.
Hilfreich in diesen Tagen ist die Unterstützung der Freunde von der Presse: keiner der anwesenden Journalisten versäumt es, uns darauf hinzuweisen, dass Deutschland in der Geschichte der Fußballweltmeisterschaften noch nie in der Vorrunde ausgeschieden ist - wir wären die Ersten. Vielen Dank, aber das wussten wir schon.
In der »Süddeutschen« erscheint ein Porträt von mir auf Seite 3. Darin schreibt Holger Gertz, dass ich »das Glückskind des deutschen Fußballs« sei: »Aber erst nach dem Spiel gegen
Ghana werden wir wissen, ob der Kapitän und seine Kultur hier eine Zukunft haben.«
Es stimmt, für mich persönlich steht auch einiges auf dem Spiel. Verlieren wir gegen Ghana, leidet auch meine Reputation als Führungskraft, und es werden andere den Anspruch stellen, diese Mannschaft zu führen. So einfach ist das im Sport.
Die Faktenlage ist schwierig. Miro Klose gesperrt. Das lächerliche Foul aus dem Serbien-Spiel zieht auch noch eine Sperre für dieses wichtige Spiel nach sich.
Die junge Mannschaft ist zum ersten Mal wirklich unter Druck. Nicht auszudenken, wenn wir tatsächlich rausgekegelt werden. Ergebnis sticht im Zweifelsfall immer Leistung, und wenn wir in der Vorrunde rausfliegen, kriegt auch der Bundestrainer Schwierigkeiten und alles, was vorgestern noch nach grandioser Zukunft aussah, ist plötzlich graues Scheitern von gestern. Das Spiel gegen Ghana verdient also allen Ernstes den Begriff Schlüsselspiel.
Wir fuhren viele Gespräche im Quartier. Die erfahrenen Spieler sprechen den Jungen Mut zu. Wenn du spielst wie in den letzten Partien, kann nichts schiefgehen. Lass dich nicht vom Rummel aus der Balance bringen. Bleib konzentriert. Konzentration hilft dir, deine Qualität abzurufen, und wenn alle ihre Qualität abrufen, gewinnen wir auch gegen Ghana. Es geht darum, den Druck auf alle Schultern zu verteilen, die ihn aushalten können. Uns, den erfahrenen Spielern, wird in diesem Entscheidungsspiel noch mehr Bedeutung zukommen als sonst. Wir müssen Souveränität verströmen und dürfen noch weniger Fehler machen als die Jungs, die noch nie so ein Spiel spielen mussten. Wir sind dafür verantwortlich, dass sie nicht zu belastet ins Spiel gehen.
In der Presse wird der Bruderzwist im Hause Boateng rauf und runter geschrieben. Kevin-Prince spielt für Ghana, Jérôme für Deutschland, ein Integrationslehrstück. Beide Spieler, deren Vater aus Ghana stammt, sind in Deutschland aufgewachsen, haben sich aber aus diversen Gründen entschieden, für die jeweils andere Nationalmannschaft zu spielen. Außerdem ist Kevin-Prince dafür verantwortlich, dass Michael Ballack nicht mit von der Partie ist: sein Foul im englischen FA-Cupfinale hat Balle die Teilnahme an der WM gekostet. Allein die Frage, wie sich die deutsche Mannschaft revanchieren wird, ist ein unendliches Thema, als ob es irgendeine andere vernünftige Reaktion gäbe, als das Spiel zu gewinnen und weiterzukommen.
Alle vier Mannschaften haben noch die Chance, ins Viertelfinale aufzusteigen. Wenn die Serben Australien schlagen, sind sie durch. Wenn wir Ghana schlagen, sind wir durch. Wenn Ghana uns schlägt, ist Ghana durch. Wenn Australien Serbien hoch schlägt und wir Ghana hoch schlagen, ist Australien durch. Wenn Australien gegen Serbien unentschieden spielt oder knapp gewinnt, reicht uns ein Unentschieden gegen Ghana. Wenn wir knapp gegen Ghana gewinnen und
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