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Der feine Unterschied

Titel: Der feine Unterschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philpp Lahm
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Australien knapp Serbien schlägt, sind Ghana und wir weiter.
    Die »Black Stars« aus Ghana sind stark. Sie haben einige gute Spieler in ihren Reihen, Gyan, Asamoah, Boateng, und die Unterstützung des ganzen Kontinents hinter sich. Ghana ist die letzte afrikanische Mannschaft, die noch eine Chance hat, das Achtelfinale zu erreichen, alle anderen sind bereits ausgeschieden, und die Euphorie der Zuschauer konzentriert sich jetzt ganz auf die Helden aus Ghana, die Serbien 1:0 geschlagen und gegen Australien 1:1 unentschieden gespielt haben.
    Ich habe eine große Sympathie für diese Mannschaft. Außer sie spielt gegen uns.
    Über 80.000 Zuschauer im First National Bank Stadium in
    Johannesburg. Gleichzeitig wird in Nelspruit das Spiel zwischen Australien und Serbien angepfiffen.
    Es geht um so viel, und wir spüren die Last. Als hätten wir Bleieinlagen in den Fußballschuhen. Ich begegne dem Druck, indem ich jeden Handgriff ganz bewusst wie immer tue. Wie ich mich anziehe, die Schuhe schnüre, noch etwas trinke. Wir beginnen das Spiel reichlich nervös. Die Abwehr wackelt wie bei einem Erdbeben, Ghana bekommt erste Chancen, aber nach zwanzig Minuten finden wir zu unserer Linie, und dann geht es hin und her, her und hin, aber das dauernde Auf und Ab ist nur ein Ausdruck dafür, dass wir die Partie nicht richtig unter Kontrolle bekommen. Als wir in die Halbzeitpause gehen, hat Manuel Neuer schon mehr Schüsse auf sein Tor bekommen als in den ersten beiden Partien zusammen.
    Entscheidungsspiele haben einen eigenen Charakter. Sie erlauben keine Freiheit. Sie sind darauf ausgelegt, Fehler zu vermeiden, und werden meistens durch die Fehler, die trotzdem passieren, entschieden.
    In der zweiten Halbzeit eine Schrecksekunde: Ghana spielt den Ball durch unsere Verteidigung durch, Gyan kann völlig allein auf unser Tor zulaufen, und Manuel Neuer zeigt, warum er zu Recht Deutschlands Nummer eins ist: er nimmt Gyan mit großartiger Reaktion den Ball ab und hält uns im Spiel.
    Von draußen wissen wir, dass es bei Serbien gegen Australien noch 0:0 steht. Bei diesem Spielstand wären Ghana und wir weiter, und das wissen auch unsere Gegenspieler. Sie verlegen sich, unbewusst oder bewusst, darauf, das Resultat zu halten, und fahren zwei mächtige Abwehrriegel vor dem eigenen Tor auf. Wir sind jetzt praktisch ununterbrochen in Ballbesitz, aber zum Abschluss kommen wir nicht, bis in der sechzigsten
    Minute Thomas Müller kurz antritt, den Ball in die Mitte zu Mesut Özil schiebt, der an der Strafraumgrenze steht, Mesut legt sich den Ball auf links und schießt ihn unwiderstehlich in die lange Ecke.
    Da ist es wieder, dieses Gefühl der Freiheit.
    Freiheit, die man mit einem Schrei begrüßen muss, sonst zerreißt es einen. Emotionen, die dich für einen Augenblick schwindlig machen. Tausend Gedanken. Schwebezustand. Eins null.
    Aber dann geht es schon wieder weiter. Ghana will jetzt augenblicklich den Ausgleich. Wir riegeln ab. Wir haben Glück. Dann Bewegung auf der Bank, triumphierende Gesten: Australien ist gegen die Serben in Führung gegangen. Ich bin an der Auslinie, um etwas zu trinken, und höre, wie das Spiel steht. Langsam sieht's hier wirklich gut aus. Bei diesem Spielstand sind Ghana und wir im Achtelfinale.
    Gleich darauf 2:0 für Australien in Nelspruit. Serbien scheint jetzt keine Gefahr mehr zu sein. Auf dem Rasen wird jetzt »Stratego« gespielt, alle sind mit einem Ohr beim anderen Spiel und versuchen, bloß nichts mehr zu riskieren. Ein Angriff hier, ein Angriff dort, viel Geschiebe im Mittelfeld.
    Die Minuten zäh und lang. Wieder das Raunen auf der Bank, Serbien hat den Anschlusstreffer erzielt und braucht jetzt nur noch ein Tor, um Ghana rauszukegeln. Du kannst sehen, wie Ghanas Spieler sich noch einmal aufraffen wollen, um den Ausgleich zu erzielen und das serbische Restrisiko auszuschalten, aber sie können nicht mehr, sie sind platt, und weil auch die Serben den Ausgleich nicht mehr schaffen, geschieht in Johannesburg etwas sehr Seltenes: ein Entscheidungsspiel endet mit zwei Siegern. Wir stehen als Gruppenerster im Achtelfinale gegen England, und Ghana bekommt es mit den USA zu tun.
    Im Klangraum Zigtausender Vuvuzelas feiern wir das Absolvieren von Etappe eins. Mindestziel absolviert. Aber wir haben viel mehr erreicht. Eine junge, unbedarfte Mannschaft hat in drei Spielen das ganze Spektrum des modernen Fußballs gezeigt. Wir haben geglänzt und einen starken Gegner an die Wand gespielt. Wir haben ein Spiel

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