Der feine Unterschied
unkonventionellen Spiel die Mannschaft unberechenbar macht.
Aber als Fußballprofi musst du Pragmatiker sein. Wenn ich von Journalisten gefragt werde, ob uns Thomas fehlen wird, gebe ich die einzige Antwort, die ich geben kann: »Wir haben einen starken Kader. Wir können auf jeder Position einen Ausfall kompensieren.« Anders darfst du nicht denken, sonst gehst du beim geringsten Gegenwind schon geknickt auf den Platz, leichte Beute. Für Thomas Müller rückt PiotrTrochowski in die Mannschaft.
Unsere Taktik ist ähnlich wie gegen Argentinien. Hinten dicht machen, eng stehen und rasant umschalten, schnelle Konter spielen.
Wenn es zwischen England, Argentinien und Spanien einen entscheidenden Unterschied gibt, dann besteht der darin, dass die Fehler, die der spanischen Mannschaft unterlaufen, wesentlich geringer sind als die von Engländern und Argentiniern. Nicht nur, dass alle Spieler brillante Techniker sind - sie spielen mit einem Höchstmaß an taktischer Disziplin, und es ist kein Zufall, dass sie regierender Europameister sind und eine Serie mit 38 Spielen ohne Niederlage hingelegt haben: Spanien ist schlicht und einfach die beste Mannschaft der Welt.
Das heißt natürlich nicht, dass die beste Mannschaft der Welt nicht gegen uns verlieren kann. Verzeihung, wer hat letzte Woche acht Tore gegen England und Argentinien geschossen?
Ich kenne den psychischen Zustand von Mannschaften vor entscheidenden Spielen. Vor jedem Spiel verinnerlicht jeder Einzelne, dass er an den Sieg glaubt.
Aber vor dem Spanien-Spiel braucht es keine Psychotricks: die Mannschaft glaubt fest an sich und ihre Chance, ins Finale zu kommen.
Immer wieder lässt irgendwer das WM-Lied der »Sportfreunde Stiller« laufen: Vierundfünfeig-vierundsiebzig-neunzig-zweitausendzehn. Die Daten von Deutschlands bisherigen WM-Titeln - und 2010: Damit sind wir gemeint.
Als wir in Durban im Moses-Mabhida-Stadion auf den Platz laufen, platzt die Mannschaft vor Selbstbewusstsein. Aber schon wenige Minuten nachdem der ungarische Schiedsrichter das Spiel angepfiffen hat, spüren wir, dass es heute besonders schwer wird. Die Spanier spielen ihr Spiel, wir versuchen sie daran zu hindern, die Spanier haben den Ball, wir laufen ihnen nach. Der wichtigste Erfolg besteht darin, dass wir keine ganz klaren Torchancen zulassen. Aber eines ist schnell klar: zu unserem schnellen und eleganten Spiel werden wir gegen diese Spanier nicht leicht finden. Wir sind nicht mehr so weit von ihnen entfernt wie noch 2008 bei der EM. Aber sie sind nach wie vor die bessere Mannschaft, kein Zweifel.
Das 0:0 zur Pause ist schon ein kleiner Erfolg. Solange es 0:0 steht, ist nichts verloren. Fatal wird es gegen diese Mannschaft erst, wenn du im Rückstand bist, denn dann zelebrieren sie ihren Ballbesitz so, dass du keinen einzigen Ball siehst. Und wenn du zu viel in die Balleroberung investierst, zu weit aufrückst, um wenigstens in einen Zweikampf zu kommen, kontern sie dich mit zwei, drei Ballkontakten aus, so schnell kannst du gar nicht schauen.
Die Überlegenheit von Spanien wird jetzt drückend wie die Flut. Noch immer halten wir dagegen, kämpfen gegen das Brechen des Dammes. Wir bekommen sogar die Riesenchance, in Führung zu gehen, 70. Minute, als Lukas Podolski den Ball zu Toni Kroos spielt, der erst wenige Minuten zuvor für Tro-chowski ins Spiel gekommen ist, und ausgerechnet Toni, ein Spieler mit überragender Technik und einem unnachahmlichen Schuss, trifft den Ball nicht richtig, und die bisher beste Chance des Spiels ist vorbei und vergeben.
Irgendwie bezeichnend, dass wir ausgerechnet nach einer Standardsituation das 0:1 kassieren, Ecke Xavi, Kopfball Puyol, nachdem wir uns so lange mit Erfolg gegen das pulsierende Kurzpassspiel zur Wehr gesetzt haben. Aber es ist ein Zeichen der Reife einer großen Mannschaft wie Spanien, wenn ihre Spieler auch Möglichkeiten nutzen, die nicht ihrem Stil entsprechen.
Genau diese Reife ist notwendig, um eine WM zu gewinnen. Auch Zinédine Zidane, dieser großartige Techniker, hat das vorgemacht, als er 1998 im Finale gegen Brasilien zwei Kopfballtore erzielte - viel mehr Tore per Kopf erzielte er in seiner ganzen Karriere nicht.
Nach dem Gegentreffer wird es noch viel schwieriger für uns. Die Spanier spielen sich den Ball im Mittelfeld zu, ziehen ein grandioses Positionsspiel auf, und dann vergeht Minute um Minute, und während wir immer weiter aufrücken, um vielleicht doch noch unsere Ausgleichschance zu erzwingen, bekommen
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