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Der feine Unterschied

Titel: Der feine Unterschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philpp Lahm
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gekommen ist.
    Wir wissen, was uns erwartet, aber auf dem Platz - vor einer berauschenden Kulisse, hier die Inter-, dort die Bayern-Fans, elektrisch geladene Luft, höchste Anspannung, spontane Freude, hier und jetzt Fußball spielen zu dürfen - tun wir nicht, was wir uns vorgenommen haben. Wir warten nicht ab, wir begegnen Inter nicht mit deren eigenen Waffen, mit Geduld, Ordnung und Präzision, sondern wir rasseln in die Falle, rackern uns ab, reißen das Spiel an uns, hören José Mourinho nicht lachen, als wir immer weiter in die Offensive vorrücken, wenn wir in Ballbesitz sind, vernachlässigen darüber die Defensive, und dann passiert genau das, was wir uns geschworen hatten, nicht geschehen zu lassen: wir kassieren aus einem schnellen Gegenangriff ein Tor, und jetzt stehen wir wie der Ochs vorm Scheunentor - Inter macht, was die Mannschaft am besten kann. Sie macht hinten dicht.
    Große Spiele werden oft in winzigen Momenten entschieden, und der winzige Moment, in dem das Glück dieses Finales sich auf die Seite von Inter Mailand schlägt, ereignet sich knapp nach der Halbzeit. Ein einziges Mal spielen wir uns leicht und flüssig durch die noch nicht präsente Abwehr der Italiener, Hamit Altintop legt den Ball für Thomas Müller auf, der ganz allein zwölf Meter vor dem Tor zum Schuss kommt, aber Müller trifft den Ball nicht so, wie er ihn treffen muss, und der Torhüter kann abwehren, und statt 1:1, womit wir wieder am Ausgangspunkt angekommen wären, steht es nach wie vor 0:1, und wir müssen kommen, wir müssen kommen, und während wir immer näher zum Tor von Inter vorrücken, während die Italiener uns überall dort spielen lassen, wo es ihnen nicht wehtut, massiv in der Defensive stehen und alle Räume abdecken, während wir nach einem Schlupfloch in der Deckung suchen und alles Mögliche probieren, Weitschüsse, Dribblings, Flanken, reißt Inter unsere Abwehr bei einem schnellen Gegenangriff ein zweites Mal auf, dann steht es 0:2 und die Sache ist gelaufen.
    Nicht wir haben das Triple gewonnen, sondern Inter Mailand.
    Der Abpfiff, Enttäuschung.
    Aber dann spendet das Bernabeu Trost. Eine ganze, lange Kurve dieses großartigen Stadions in Rot, unsere Fans. Sie verlassen das Stadion nicht. Sie singen. Sie jubeln. Sie sind nicht enttäuscht von uns, sondern freuen sich, dass wir es so weit geschafft haben, und das lassen sie uns wissen, und wir bleiben lang auf dem Spielfeld, jeder von uns genießt den bittersüßen Moment, trauert über die vergebene Chance dieses Finales, wer weiß, wann die nächste Chance kommt, die Champions League zu gewinnen, aber wir freuen uns auch über die Mühe, die sich unsere Fans machen, um uns wieder aufzurichten, die uns winken und uns zujubeln.
    Niemand, dessen Augen nicht glänzen, so oder so.
    Als wir ein Jahr später wieder auf Inter treffen, diesmal im Frühjahr 2011 im Achtelfinale der Champions League, spielen zwei andere Mannschaften gegeneinander. Wenn im Finale von Madrid die Torszenen so außergewöhnlich waren wie Sonnenstunden im Keller, liefern wir uns im Achtelfinale einen offenen Schlagabtausch — ein anderes Wort für das Spiel von zwei Mannschaften, deren Abwehrreihen ein Problem haben. Zwar gewinnen wir in Mailand 1:0, zwar dominieren wir in München das Rückspiel eine Halbzeit lang so intensiv, dass auch fünf Tore nicht zu viel Belohnung für die Chancen gewesen wären, die wir uns erarbeitet haben, aber wir machen eben nur zwei Tore, und als Inter nach der Halbzeit dagegenhält, beginnen wir tatsächlich noch einmal zu wackeln, bekommen zwei Tore und scheiden mit 2:3 aus.
    Diese Niederlage ist besonders bitter. Aber sie ist eine Kurzfassung der gesamten Saison 2010/11. Wir spielen nicht schlecht, bringen uns aber selbst durch schlechtes Defensivverhalten und viel zu nachlässige Chancenverwertung um die Früchte der eigenen Arbeit.
    Als im Viertelfinale der FC Schalke Inter Mailand im San Siro eiskalt auskontert und 5:2 gewinnt, muss ich nach der Halbzeitpause den Fernseher abdrehen: ich halte es nicht aus, zuzusehen, wie eine viel schwächere Mannschaft als der FC Bayern den Champions-League-Sieger demontiert, geradezu vorfuhrt.
    Dass im Finale dieser Saison dann wieder Barcelona gegen Manchester United spielt, hat hingegen schon ein bisschen mit Gerechtigkeit zu tun.
    Aber Gerechtigkeit ist im Fußball keine Kategorie, und wir werden alles dafür tun, dass im Frühjahr 2012, wenn das Endspiel der Champions League in München stattfindet,

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