Der feine Unterschied
Champions League sicher.
Dann kommt Louis van Gaal, ein ausgewiesener Fachmann. Louis van Gaal ist ein Trainer mit hohen Ansprüchen. Er hält viel von Disziplin, und er hält viel von sich selbst. Er hat mit Ajax Amsterdam und Barcelona viele Erfolge gefeiert, er hat den AZ Alkmaar im Jahr, bevor er zu uns kommt, zum Meister gemacht, und er weiß, dass jeder von uns das weiß.
Louis van Gaal pocht auf seine Autorität. Er greift in jeden Lebensbereich ein. Er bestimmt die Sitzordnung, wer ihm beim Essen gegenübersitzt, wer links und rechts von ihm Platz nehmen muss. Er legt sogar fest, wer beim Mittagessen zuerst aufstehen darf und wer sich zuerst am Buffet bedient. Manche Maßnahmen mögen kleinkariert wirken, aber ich empfinde die Ordnung, die van Gaal stiftet, nach dem Durcheinander des Vorjahrs als wohltuend.
Der Trainer arbeitet in diesem Moment konzentriert und gut mit uns, in einer Qualität, wie wir sie vorher nicht gekannt haben. Die Mannschaft lässt sich auf das ein, was er fordert, und setzt seine Ideen um. Aber der Schwung, den wir brauchen, um in der Meisterschaft dort zu stehen, wo wir hingehören, stellt sich nicht ein. Wir spielen nur selten so, wie wir uns das vornehmen, und auch die Resultate passen nicht.
Wenn beim FC Bayern die Resultate nicht passen, wird es schnell unruhig. Die Journalisten rechnen peinlich genau nach, dass wir auch in der angeblich so verkorksten Saison unter Jürgen Klinsmann nicht besser dagestanden haben als jetzt unter Louis van Gaal, und in der Vorstandsetage beginnen vertraute Prozesse abzulaufen. Zuerst Grummeln in der Presse, Zeigefinger im Fernsehen, dann plötzlich gar nichts mehr. Das ist traditionell die Phase, in der es für einen Trainer des FC Bayern eng wird. Es ist Ende September. Die Saison ist noch nicht einmal zwei Monate alt.
Am 26. September verlieren wir auswärts gegen Hamburg 0:1 und rutschen in der Tabelle von Platz drei auf Platz sieben ab. Ich gehe nach dem Spiel zum TV-Interview und sage, wie ich das Spiel gesehen habe. Dass wir nicht besonders gut gespielt haben, aber auch nicht dramatisch schlecht. Dass wir durchaus eine Chance gehabt hätten, zu gewinnen, aber dass wir halt unsere Chancen nicht nutzen konnten. Dass wir wieder besser spielen müssen und vor allem darauf achten, dass der Gegner nicht so viele Torchancen bekommt.
Zwei Tage später werde ich nach dem Training nach oben geholt. Oben, im zweiten Stock der Geschäftsstelle an der Säbe-ner Straße, residiert der Vorstand des FC Bayern. Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und Karl Hopfner.
Ich spreche gern mit dem Vorstand. Es passiert immer wieder, dass sich eine Gelegenheit dazu ergibt, dann trinkt man einen Kaffee mit Kalle Rummenigge oder Uli Hoeneß und tauscht Meinungen aus. Ich bin in meinen Jahren in München zu einem Führungsspieler geworden, zu einem Familienmitglied, zu diesem Zeitpunkt zweiter Kapitän, und ich habe einen langfristigen Vertrag unterschrieben.
Um beim FC Bayern zu bleiben, habe ich mich auch gegen ein verlockendes Engagement beim FC Barcelona entschieden. Ich fühle mich in München wohl und glaube an die Zukunft dieser Mannschaft, nicht nur in der Bundesliga, auch in der Champions League. Ich kenne die Mannschaft aus dem Effeff, und ich kann beurteilen, wie der Trainer mit uns arbeitet.
Der Trainer arbeitet gut, auch wenn er kein einfacher Mensch ist. Van Gaal ist auf gut bayrisch gesagt ein Sturschädel. Er bewegt sich manchmal durch die Säbener Straße wie ein Elefant durch einen Porzellanladen und kümmert sich nicht um die Scherben. Aber er bringt System in das Spiel unserer Mannschaft. Er vermittelt ihr seine Philosophie von Fußball.
Van Gaal fordert ständigen Ballbesitz. Er will, dass die Mannschaft durch präzises Passspiel und die individuelle Klasse ihrer Spieler permanent Chancen kreiert. Jeder Ballbesitz soll in eine Offensivaktion münden. Ballverlust ist nicht vorgesehen.
Wenn du ein Führungsspieler bist, tauschst du dich regelmäßig mit der Klubleitung aus. Die Vorstände müssen wissen, wie die Mannschaft dasteht, wie sie denkt, was sie bewegt. Ich denke mir auf dem Weg in den zweiten Stock, dass der Vorstand wohl wissen will, wie ich die aktuelle Lage einschätze. Das Gespräch kommt mir ganz recht, denn ich habe das Gefühl, dass das neue Konzept mit van Gaal vor dem Durchbruch steht. Ich möchte, dass der Vorstand das weiß.
Aber das Treffen dreht sich dann darum, dass ich im Fernsehen zu kritische Interviews gebe.
Das
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