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Der feine Unterschied

Titel: Der feine Unterschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philpp Lahm
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verwirrt mich. Ich habe oft gehört, dass meine offenen Spielanalysen geschätzt werden, weil ich ehrlich meine Meinung zum Spiel sage und nichts beschönige. Logisch, dass ich darauf achtgebe, keinen Mitspieler persönlich zu kritisieren, ganz bewusst rede ich immer nur über die Mannschaft als Mannschaft. Das hat auch seinen Grund: es sind nie Einzelne, die ein Spiel gewinnen oder verlieren, es ist immer das Team. Aber es hat keinen Sinn, Dinge, die auf dem Platz geschehen sind, zu beschönigen. Daraus lernt niemand etwas, am wenigsten die Mannschaft selbst.
    Das Gespräch ist schneller beendet als sonst, und irgendwie habe ich das Gefühl, etwas Wichtiges nicht losgeworden zu sein. Als ich darüber nachdenke, wird mir klar, dass ich gerade die Gelegenheit verpasst habe, meine Meinung zur Spielphilosophie von van Gaal am richtigen Ort zu deponieren - das muss ich mir vorwerfen lassen.
    Natürlich ist mir aufgefallen, dass zwischen dem selbstbewussten Trainer und unserem selbstbewussten Vorstand die Chemie nicht stimmt. Aus Erfahrung weiß ich, dass in solchen Fällen Explosionsgefahr herrscht.
    Aber der Trainer hat nicht nur seine schwierigen Seiten, sondern auch ausgeprägte Fähigkeiten. Die schwierigen Seiten hat der Vorstand schon persönlich kennengelernt, aber die Vorzüge des Trainers stehen derzeit nicht im richtigen Licht.
    Denn der Erfolg lässt weiter auf sich warten. Aber ich sehe die Gründe dafür, und sobald Probleme offensichtlich sind, kann man sie anpacken und lösen. Allerdings ist die Situation heikel, denn es prallen verschiedene Schulen aufeinander.
    Louis van Gaal will uns seine Spielweise mit permanentem Ballbesitz verpassen, und die Umbauarbeiten sind noch nicht abgeschlossen.
    Der FC Bayern hingegen hat lange mit der Methode Erfolg gehabt, die besten Spieler zu verpflichten, die jeweils auf dem Markt waren. Das sorgt regelmäßig für die höchste Qualität, die der Kader eines deutschen Fußballklubs haben kann. Aber im internationalen Vergleich fehlt uns manchmal noch ein taktischsystematischer Überbau - eine fußballerische Philosophie.
    Große Mannschaften wie Barcelona oder Manchester United agieren wie selbstverständlich nach ihrer Philosophie. Sie spielen seit vielen Jahren ihr unverkennbares Spiel. Das hat viele Vorteile: Die Philosophie liegt dem Spiel des Teams zugrunde, egal welche Spieler auf dem Platz stehen. Die Philosophie entscheidet darüber, welche Spielertypen überhaupt erst beobachtet und dann vielleicht verpflichtet werden.
    Ein definiertes Spielsystem hat Auswirkungen auf alle Entscheidungen der Mannschaft. Spielt eine Mannschaft zum Beispiel nach einem System, das nur einen echten Stürmer vorsieht, wäre die Verpflichtung von drei, vier hochkarätigen Angreifern nicht nur überflüssig und unwirtschaftlich, sondern geradezu zerstörerisch für das Team. Die Spieler, die nicht zum Einsatz kommen, werden für Unruhe sorgen, weil sie spielen wollen, und, wenn sie nicht spielen, unzufrieden sein. Die Aufgabe des Trainers, gute Einzelspieler zu einem Team zu formen, wird so von Beginn an untergraben.
    Louis van Gaal ist ein Mann, der genaue Vorstellungen davon hat, wie ein Spiel zu funktionieren hat. Er bestimmt, wer auf dem Platz welche Aufgabe übernimmt, wie der Ball von hinten nach vorne gespielt werden soll. Beim FC Bayern stößt er auf viele gute Spieler - zum Beispiel auf vier erstklassige Stürmer: Miroslav Klose, Luca Toni, die noch in der Saison davor Tore ohne Ende gemacht haben, und die Neuzugänge Mario Gomez, ein Strafraumstürmer, der drei Saisons lang jeweils über zwanzig Tore erzielt hat, und den quirligen, wuseligen Ivica Olic.
    Van Gaal muss also Ordnung in seinen Kader bringen. Er muss ausprobieren, welcher Spieler auf welcher Position am besten zur Geltung kommt. Außerdem liebt er es, junge Spieler in die Mannschaft einzubauen und ihr damit überraschende Dynamik einzuflößen. Wer hat vor dieser Saison schon von den Bayern-Spielern Thomas Müller und Holger Badstuber gehört? Auch das Eingliedern solcher Spieler ist eine vielversprechende und zukunftsträchtige Aufgabe, die aber nicht in zwei, drei Spielen erledigt werden kann.
    Ich arbeite täglich mit van Gaal. Ich sehe, dass sich hier etwas entwickelt, das zusammen mit dem enormen Erfolgshunger und der bedingungslosen Hingabe unseres Vorstands zu etwas Außergewöhnlichem zusammenwachsen könnte: zu einer Kombination von fußballerischer und ökonomischer Intelligenz und Leidenschaft.
    Aber

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