Der feine Unterschied
Plötzlich spürt die Mannschaft, wo ihr Herz schlägt, wie ihre Leidenschaft erwacht. Plötzlich ist der Hunger da, der unstillbare Hunger nach Erfolg, der große Mannschaften auszeichnet. Der Abend im Olimpico von Turin hat unsere Gefühle durch eine Zentrifuge gejagt, und wir sind im richtigen Zustand herausgekommen.
Wir sitzen nach dem Spiel in der Kabine und gehen begeistert noch einmal den Verlauf des Spiels miteinander durch, das 3:1, Gelächter, das 4:1, wolltest du ihn töten, Timo?, noch einmal Abklatschen. Irgendwie ist allen klar, dass dieses Spiel der eigentliche Start in die Saison gewesen ist, ein bisschen spät vielleicht, aber nicht zu spät.
Wir spielen in der Bundesliga super Partien, und im Achtelfinale der Champions League werden wir gegen Fiorentina ausgelost.
Machbarer Gegner, lautet die allgemeine Einschätzung.
Schon. Aber auch machbare Gegner müssen erst mal geschlagen werden. Zwar gewinnen wir im Hinspiel in München, aber das 2:1 ist kein Resultat, auf das man stolz sein kann, und das nicht nur, weil das Siegtor von Miro Klose in der letzten Minute klar abseits war. Fiorentina ist stark in der Defensive, deutlich stärker als Juventus, was uns einigermaßen überrascht. Das wird nicht leicht in Florenz.
Und es wird tatsächlich nicht leicht in Florenz. Nach 60 Minuten fuhren die Italiener 2:0, damit wären wir ausgeschieden, wir holen ein Tor auf, das uns mindestens in eine Verlängerung brächte, es geht hin und her, und nur vier Minuten nach dem Anschlusstreffer kassieren wir das dritte Tor, und sind einmal mehr weg vom Fenster, aber das ist das Besondere an der Mannschaft des FC Bayern in dieser Champions-League-Saison: sie nimmt dramatische Situationen ungerührt zum Anlass, um angemessen darauf zu reagieren.
Kein Jammern, kein Zagen, keine depressiven Anfälle. Bloß entschlossen alles dafür tun, die Situation einmal mehr auf den Kopf zu stellen, und in diesem Spiel gelingt das praktisch im Gegenzug. Gleich nachdem sich das Knäuel von florentinischen Jubelfußballern wieder entwirrt hat, zeigt Arjen Robben, dass er weiß, wo das linke Kreuzeck ist, und dass er es auch aus 25 Metern treffen kann.
Damit ist der Tarif durchgegeben. Schießt ruhig noch ein viertes Tor, dann machen wir ein drittes. Interessant, denke ich mir, dass sich gewisse Spiele so sicher anfühlen, obwohl sie auf Messers Schneide stehen. Aber ich habe nicht mehr das Gefühl, dass wir gegen Fiorentina ausscheiden werden, und, noch interessanter, die Fiorentina hat nicht mehr das Gefühl, dass sie uns aus dem Wettbewerb kegeln kann. Die Schnelligkeit und Vehemenz unserer Reaktion hat ihre Moral untergraben. Es geht zwar noch munter in beide Richtungen, aber wir wackeln nicht mehr, wir haben weder Glück noch Pech, wir kommen dank Auswärtstorregel ins Viertelfinale der Champions League.
Dort treffen wir auf Manchester United. Die beiden Spiele gegen diese dominante englische Mannschaft sind großartig und kurios zugleich: Weltklasse-Fußball. Großartige Spieler, großartige Atmosphäre, großartige Ergebnisse - und allem voran die großartige Bestätigung für die Tatsache, dass mit genug Leidenschaft im Fußball immer alles möglich ist.
Wir sind nicht unbedingt die bessere Mannschaft, aber wir sind die Mannschaft, die hungriger auf den Erfolg ist als der Gegner, und das ist sensationell, denn kein Trainer der Welt ist hungriger als Sir Alex Ferguson mit seinen fast 70 Jahren.
Aber seine Mannschaft macht es sich zweimal zu leicht. In München, nachdem Rooney schon gleich nach Beginn die Führung erzielt hat, setzt Manchester nicht nach, sodass wir mit Glück ausgleichen und mit Druck und viel Willen kurz vor Schluss das 2:1 erzielen können, das eine brauchbare Basis für das Rückspiel darstellt.
In Manchester passiert dann alles, was im Fußball passieren kann. 40 Minuten lang spielt uns Manchester so schwindelig, dass wir nicht mehr wissen, wo links und rechts ist. Der Spielstand von 3:0 für die Engländer ist okay, 5:0 wäre ehrlich gesagt auch okay gewesen. Schon wieder sind wir tot, aber so tot, wie wir in der Champions League noch nie waren, und doch leben wir: ein Tor kurz vor der Pause durch Ivica Olic, und während bei Manchester die Leichtigkeit der ersten Hälfte plötzlich verloren geht, wissen wir, dass wir nur noch ein Tor brauchen, und obwohl kein Mensch sich das noch zehn Minuten vorher vorstellen konnte, sind plötzlich wir es, die dominieren, nachdem ein Engländer vom Platz gestellt
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