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Der feine Unterschied

Titel: Der feine Unterschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philpp Lahm
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eindeutig zu deinen Gunsten geklärt sind, ist Charakter gefragt: die Kraft, Belastungen auszuhalten und dann, wenn es darauf ankommt, maximale Leistungen zu bringen. Ohne diese Fähigkeit wird ein guter Spieler nicht zu einem sehr guten Spieler.
    Es ist eine romantische Vorstellung, dass eine Mannschaft aus elf Freunden besteht. Mag sein, dass es Ausnahmen gibt, aber die Regel lautet, dass eine Mannschaft aus 20, 25 Konkurrenten zusammengeschmiedet wird. Natürlich steht der gemeinsame Erfolg im Vordergrund, die Mannschaft muss ja als Mannschaft funktionieren, aber bis es so weit ist, findet unter den 20, 25 Männern ein beinharter Konkurrenzkampf statt. Jeder - ich sage: jeder - belauert seine Kollegen und schaut darauf, aus jeder Situation einen Vorteil für sich selbst herauszuziehen. Wie weit du dabei gehst, musst du selbst entscheiden.
    Jeder sucht seine Rolle in der Mannschaft, sowohl im Spiel als auch im täglichen Umgang. Der Konkurrenzkampf findet täglich statt, in jeder einzelnen Trainingseinheit, nicht nur in jedem Spiel. Jeder Spieler kennt die Stärken und Schwächen jedes anderen Spielers - und positioniert sich. Zeigt Stärke, wenn er das kann. Ordnet sich unter, wenn er das muss. Im Profifußball ist jede Mannschaft die Summe außerordentlicher Einzelbegabungen, und jede dieser Begabungen möchte sich angemessen präsentieren.
    Erst wenn die Hierarchie in einer Mannschaft geklärt ist, wenn jedem Einzelnen klar ist, wer spielt und wer auf der Bank sitzt, entwickelt sich wieder eine gewisse Lockerheit. Es setzen sich die Spieler durch, die sich ihrer eigenen Stärken bewusst sind und täglich an ihnen arbeiten. Aber keinem Fußballer kann geraten werden, sich jemals sicher zu fühlen. Eine Verletzung, und er fliegt aus der Startelf. Ein Konkurrent, der auf seiner Position gute Leistungen bringt, das Bedürfnis des Trainers, nach ein paar schlechten Resultaten etwas am Spielsystem zu ändern, und schon sind die Vorzeichen anders, und du bist es, der auf der Bank sitzt und sich wieder zurück in die Mannschaft kämpfen muss.
    Gerade in solch umkämpften Phasen, in denen du nicht genau weißt, wo du in der Hierarchie stehst, ob du zur Startelf gehörst oder nicht — und wenn nicht, warum nicht —, ist es wichtig, ein gutes Umfeld zu haben: Menschen, die dir deine Unsicherheit nehmen. Denen du sagen kannst, was dich bedrückt. Die dir helfen, den Glauben an deine Stärken nicht zu verlieren.
    Denn in der Mannschaft selbst ist für Schwäche kein Platz. Schwäche zu zeigen, ist im Fußball ein Tabu. Jeder von uns muss permanent Stärke ausstrahlen. Sobald sich daran etwas ändert, wird an deiner Position gegraben, du sinkst in der Hierarchie, deine Stellung ist gefährdet. Gerade, weil du deine Kollegen Tag für Tag siehst, weil du täglich unter scharfer Beobachtung stehst, erkennen sie sofort, wenn du einmal nicht so präsent bist wie sonst. Passiert das einmal, okay. Wiederholen sich deine Schwächen jedoch, wittern deine Konkurrenten sofort ihre eigene Chance und versuchen, deine Schwäche auszunutzen, um selbst in Erscheinung zu treten, dich zu verdrängen. Eine Aktion im Training auf deine Kosten, ein Wort zum Trainer: die Mittel, um dich schlecht aussehen zu lassen, sind vielfältig, und manche Profis sind nicht wählerisch.
    Deine Probleme löst du besser außerhalb der Mannschaft, mit Menschen, denen du vertraust. Die Mannschaft ist dabei keine Hilfe. Ich weiß, wie unzeitgemäß und hart das klingt. Aber moderner Fußball ist ein Spektakel, die erfolgreichste Branche der Unterhaltungsindustrie. Die Männer auf dem Feld sollen ihre Leistung bringen, den Gegner fertigmachen und dann siegreich nach Hause gehen. Wir sind moderne Gladiatoren. Softies haben im Fußball keinen Erfolg.
    Wer gut Fußball spielt und seine Leistung regelmäßig bringt, genießt automatisch den Respekt der Mannschaft. Aber auch dieser Respekt hat Grenzen. Es gibt keine noch so überragenden Spieler mehr, die sich wegen ihrer Fähigkeiten alles erlauben dürfen. Kann sein, dass es das einmal gab. Heute muss ein Profifußballer ein Mindestmaß an sozialen Qualitäten haben, denn sonst wird er in der Mannschaft isoliert sein und am Ende des Tages scheitern. Die Alphatiere der alten Schule würden in einer Mannschaft von heute auf Unverständnis und Ablehnung stoßen.
    Der moderne Spieler braucht neben seinen sportlichen Fähigkeiten auch Einfühlungsvermögen und soziale Intelligenz. Er muss seine Mitspieler einschätzen

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