Der feine Unterschied
er jetzt tun soll. Ich bin höchst irritiert. Ist der Mann harmlos? Oder hat er ein Messer eingesteckt oder eine andere Waffe? Will er sich mit Gewalt Zutritt in meine Wohnung verschaffen, oder tut er sich selbst etwas an?
Ich habe schon das Handy in der Hand, um den Notruf zu wählen, als der Mann vor meiner Tür plötzlich in die Wirklichkeit zurückfindet. Sein Körper strafft sich, er dreht auf dem Absatz um und verschwindet im Treppenhaus.
Ich bin außer mir. Wie schräg ist das denn? Wie hat der Typ meine Adresse herausgefunden? Ich merke, dass ich noch immer den Brief in der Hand halte. Ich mache ihn auf. Im Brief steht ungefähr dasselbe, was mir der Mann gerade gesagt hat, ergänzt um eine irritierende Information: er ist aus Düsseldorf gekommen. Er ist mir nicht auf gut Glück nachgegangen, er hat wie ein Privatdetektiv recherchiert, wo ich wohne, wann ich zu Hause bin. Das bringt mich völlig aus dem Konzept.
Denn ich bin sehr sorgfältig mit privaten Informationen. Schon meine Telefonnummer haben nur ganz wenige Leute, meine Familie natürlich und ein paar Freunde, und mit meiner Adresse gehe ich noch sparsamer um. Für mich ist mein Zuhause etwas total Wertvolles. Zu Hause hole ich mir die Kraft, um meine Arbeit gut zu machen, um gut Fußball zu spielen und so zu funktionieren, wie ein Mensch, der in der Öffentlichkeit steht, funktionieren muss. Deshalb muss ich zu Hause loslassen können. So sein, wie ich bin. Tun, was ich gerade will - wenn nötig auch gar nichts.
Muss ich jetzt plötzlich Angst vor Stalkern haben, wenn es klingelt? Ich sortiere Möglichkeiten, wie der Typ meine Adresse bekommen haben könnte. Unsere Autos sind nicht unauffällig. Vielleicht hat er mein Auto gesehen und ist mir gefolgt. Vielleicht ist er aber auch draußen im Gewimmel des Gärtnerplatzes auf der Lauer gelegen, um auszukundschaften, wo ich wohne.
Der Gedanke ist vergiftet. Plötzlich sehe ich die ganze Nachbarschaft in einem anderen Licht. Kommt der Typ zurück? Erzählt er anderen, wo ich wohne? Ich bin alles andere als ängstlich, aber ich bin vorsichtig. Und selbst wenn mein ungebetener Besucher total harmlos gewesen sein sollte: ich habe keine Lust, mich mit verliebten Spinnern vor meiner Tür herumzuschlagen.
Obwohl sich der Vorfall nicht wiederholt, beschließe ich umzuziehen.
Natürlich hat Prominenz Anziehungskraft. Manche Leute wollen sich damit schmücken, dass sie einen Prominenten kennen, andere versprechen sich davon handfeste Vorteile. Sobald du in der Öffentlichkeit stehst, kannst du dich vor Angeboten gar nicht retten. Eine Party hier, eine Eröffnung dort, eine Einladung, noch eine Einladung.
Ich bin in dieser Beziehung ein sehr vorsichtiger Mensch, um nicht zu sagen misstrauisch. Meine Freunde — ich meine damit die Handvoll echter, enger Freunde, nicht die Flotte von Bekannten, die man als Fußballprofi zwangsläufig hat — kenne ich aus der Zeit, bevor ich prominent war.
Es kursieren ja genug Geschichten über Prominente, ihre falschen Freunde und den Ärger, den sie dann haben. Ich habe keine Lust, dazu auch ein Kapitel beizutragen.
Außerdem läuft mein Leben in anderen Bahnen. Ich bewege mich in Zirkeln, die ich gut kenne. Meine öffentlichen Auftritte sortiert mein Management für mich vor, und mein Privatleben ist im besten Sinn ein Familienleben. Wenn ich freihabe und nicht mit der Nationalmannschaft oder bei Auswärtsspielen unterwegs bin, verbringe ich die Zeit mit meiner Frau. Wir gehen abends gern zu einem Italiener in unserer Nähe, dort kriegen wir einen guten Tisch und erregen kein Aufsehen. Mindestens einmal pro Woche besuchen wir meine oder ihre Eltern, und das Thema Prominenz spielt da nun wirklich keine Rolle. Wenn ich bei den Großeltern am Tisch sitze, bin ich der, der ich immer war, jetzt halt erwachsen. Das ist der einzige Unterschied.
Vermutlich ist es auch kein Zufall, dass ich Claudia, meine jetzige Frau, schon kennengelernt hatte, bevor ich zum bekannten Fußballprofi wurde. Gerade in Beziehungsfragen halte ich Prominenz für einen gefährlichen Aspekt. Prominenz spielt mit Images und Oberflächlichkeiten. Darum geht es in der Liebe aber nicht. Ich habe mich immer davor gehütet, da etwas durcheinanderkommen zu lassen.
Ich bin mit Claudia gut zwei Jahre zusammen, als wir beschließen, zu heiraten. Wir sind happy miteinander, alles passt, es ist Zeit. Die WM in Südafrika steht bevor, und es ist klar, dass der Mittwoch nach dem Finale der beste Hochzeitstermin
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