Der Fetisch-Mörder
Fragen haben oder Ihnen noch etwas einfällt, selbst wenn es Ihnen noch so unwichtig erscheint – bitte zögern Sie nicht, mich anzurufen.«
Sie hielt seine Karte in ihren tauben Fingern und sah ihm nach, als er auf die Scheinwerfer zuging und sich unter die weißen, ausdruckslosen Gesichter der Männer und Frauen mischte, deren Job es war, Tag für Tag mit Gewalt konfrontiert zu werden.
Die junge Polizistin fuhr Makedde zu ihrer Unterkunft in Bondi Beach, verabschiedete sich mit dem vorhersehbaren »Wie geht es Ihnen jetzt? Kann ich noch irgendetwas für Sie tun?« und ließ sie allein. Beim Betreten der Wohnung überkam Makedde ein seltsames Gefühl. Catherines Anwesenheit war allgegenwärtig; außerdem flackerten vor ihrem inneren Auge ständig die Bilder der verstümmelten Leiche auf.
Makedde schauderte.
Sie ging ans Fenster, legte die Hände um die Augen und sah nach draußen. Eine andere Welt: Lachende Paare schlenderten sorgenfrei und unbeschwert den Strand entlang. Plötzlich erschien ihr alles so fremd. Erschöpft zog sie die Jalousie herunter und tauchte die Wohnung in Dunkelheit. Sie war emotional am Ende und unfähig, sich auszuziehen oder das dicke Make-up zu entfernen, das Joseph ihr aufgetragen hatte. Sie ließ sich aufs Bett plumpsen und hatte, als sie bereits längst auf der Matratze lag, noch lange das Gefühl, zu fallen. Das dunkle Zimmer drehte sich in einer Nebelwolke über ihr.
Es war alles nur ein furchtbarer Traum.
Wir reden morgen, Catherine.
Es schienen nur ein paar Minuten vergangen, als das hartnäckige Klingeln des Telefons erbarmungslos ihre Trommelfelle attackierte. Beim dritten Klingeln hatte sie den Hörer am Ohr, ihr Verstand befand sich noch im Tief schlaf.
Endlich … Catherine.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung sprach mit ihr. »Wie bitte? Entschuldigen Sie …«, krächzte sie. Die Worte, die sie hervorbrachte, glichen eher einem Räuspern.
»Hier ist Detective Flynn. Spreche ich mit Makedde Vanderwall?«
»Ja.«
»Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie das Opfer heute Morgen im Leichenschauhaus in Glebe identifizieren könnten.«
Schlagartig und mit entsetzlicher Klarheit und Schärfe wurde sie in die Wirklichkeit zurückkatapultiert.
Es war bereits neun Uhr.
»Ja. Ich komme.«
Als sie aufgelegt hatte, fiel ihr Blick auf den gegenüber vom Bett angebrachten Wandspiegel. Sie saß in voller Montur aufrecht im Bett und sah furchtbar aus. Während der Nacht war ihr dunkles Make-up in dicken Schlieren über ihren Wangen verlaufen. Sie versuchte es mit ihrer kajalverschmierten Hand wegzuwischen und machte es nur noch schlimmer.
Es wollte einfach nicht weggehen.
3
Ein Taxi setzte sie vor einer Reihe trister brauner Türen mit der Aufschrift ›Gerichtsmedizinisches Institut von New South Wales‹ ab. Sie fragte sich, wie viele Menschen wohl regelmäßig an der unscheinbaren Fassade vorbeigingen und nicht die geringste Ahnung hatten, dass sich dahinter das Leichenschauhaus verbarg.
Gestern war Mak ohnmächtig geworden, und sie hatte nicht die Absicht, erneut umzukippen. Schließlich sah sie nicht zum ersten Mal einen Toten. Als Heranwachsende hatte sie ihren Vater häufig ins Leichenschauhaus begleitet. Er war damals der angesehenste Kriminalinspektor von Vancouver Island gewesen und hatte freie Hand gehabt, seine Tochter überallhin mitzunehmen. Bereits in jungen Jahren hatte sie eine außergewöhnliche Vorliebe für die makabren Seiten des Berufes ihres Vaters gezeigt. So wie andere Kinder nach einer Barbiepuppe oder einem Extra-Taschengeld verlangen, hatte sie ihren Vater angebettelt, dass er sie auf die Polizeiwache oder ins städtische Leichenschauhaus mitnehmen sollte. Die entsetzlichen Anblicke hatte er ihr natürlich erspart. Stattdessen hatte sie fleischlose Skelette von Leichen gesehen, die Jahre nach ihrem Tod irgendwo im Wald gefunden worden waren, oder die glatten, friedlichen Leichname von natürlich Verstorbenen.
Makedde hatte noch nie einen Toten gesehen, der so brutal und grauenvoll tot aussah und roch wie die Leiche der jungen Frau, die sie am Vortag entdeckt hatte. Irgendwo hinter den imposanten braunen Türen lag eine hübsche junge Frau, die vielleicht Catherine gewesen war, kalt und leblos im Schiebefach eines Gefrierschranks. In nicht einmal sechs Monaten hatte sie zwei der Menschen verloren, die ihr am wichtigsten gewesen waren. Es waren nicht ihre Ausflüge ins Leichenschauhaus gewesen, die ihr die wahre Dimension des Todes vor
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