Der Fetisch-Mörder
Vanderwall. Wenn Sie wollen, können Sie noch ein wenig bleiben. Es besteht kein Grund zur Eile. Ich warte vor der Tür auf Sie.«
Makedde hörte, wie hinter ihr die Tür zugezogen wurde. Sie wich so weit wie möglich von der Leiche zurück. Dabei stieß sie gegen einen Sessel und ließ sich hineinsinken. Ihre verheulten Augen bemerkten einen Fernsehschirm in der oberen rechten Ecke des Besichtigungsraums. Es schien ihr ein äußerst befremdlicher Ort für einen Fernseher zu sein. Einen Moment lang stellte sie sich vor, wie Catherine die Augen aufschlug und sich irgendeine Show ansah – wie ein Patient, der nach einer Narkose in einem Krankenhauszimmer aufwacht. Makedde vermutete, dass der Fernseher für die Fälle bereitstand, in denen die Leiche so entstellt oder verwest war, dass man ihren direkten Anblick niemandem zumuten konnte und sie in einem separaten Raum aufbahrte. Catherines Innereien waren überall im Gras verstreut gewesen, und die Tiere und Insekten hatten ihre Überreste schnell vertilgt. Es hätte nicht viel gefehlt, und zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung wäre nicht mehr viel von ihr übrig gewesen.
Hatte ihr Mörder es darauf angelegt? Wenn ja, hätte er irgendeinen unzugänglicheren Ort gewählt. Nein, er hatte bewusst schockieren wollen. Er wollte, dass die Leiche schnell gefunden wurde.
Sie erhob sich und ging zu Catherine Gerbers Leichnam hinüber.
Zu der Hand.
Fast gelähmt vor Trauer raffte Makedde all ihren Mut zusammen, griff nach der Hand, umfasste sie und hielt sie liebevoll fest.
Sie war kalt.
»Adieu, meine liebe Freundin«, sagte sie leise. Bevor sie losließ, flüsterte sie noch ein paar letzte Worte. »Ich verspreche dir Gerechtigkeit. Ich verspreche es.«
Sie verließ den Raum in dem Bewusstsein, dass ihre Freundin jetzt fort war. Sie lag nicht auf einer Rollbahre im Besichtigungsraum des Leichenschauhauses. Über ihr wurde nicht gleich der Reißverschluss eines Leichensacks zugezogen, und sie wurde nicht in ein kaltes Gefrierfach gerollt.
Sie war irgendwo anders … an einem besseren Ort.
Makedde stellte ihr Gehirn auf den professionellen Modus ein und versuchte, die entsetzliche Realität, mit der sie konfrontiert war, so wenig wie möglich an sich heranzulassen. Das Leichenschauhaus strahlte eine sterile Kälte aus, die sich umso tiefer in ihre Knochen fraß, je länger sie sich dort aufhielt. Es drängte sie, diesen schaurigen Ort schleunigst zu verlassen, doch sie musste erst noch das Identifizierungsformular P443 ausfüllen. Außerdem hatte sie noch ein paar Fragen an Detective Andrew Flynn.
Mit zugeschnürter Kehle fragte sie: »Wann bekommen ihre Pflegeeltern sie zu sehen? Nach Kanada ist es ziemlich weit.«
Er antwortete mit unpersönlicher, in vielen ähnlichen Fällen eingeübter Anteilnahme: »Die Leiche wird so früh wie nur irgend möglich freigegeben und an ihre Pflegeeltern überstellt.«
Mak kannte Catherines Pflegeeltern. Sie würden sich mit Sicherheit nicht ins Zeug legen, damit alles reibungslos und angemessen über die Bühne ging. Irgendwann würden Catherines sterbliche Überreste in einem unscheinbaren Standardsarg über die Kontinente fliegen, wo eine schlichte und vor allem nicht zu teure Beerdigung auf sie wartete.
Makedde las das Formular.
Die folgende Erklärung, die ich nach bestem Wissen und Gewissen abgebe, dient als Beweis und kann gegebenenfalls von mir als Zeugin vor Gericht bestätigt werden.
»Muss ich für den Prozess hier bleiben?«, fragte sie.
»Sie müssen hier sein, wenn der Prozess stattfindet, aber Sie müssen nicht bleiben, bis er stattfindet. Die Ermittlungen können einige Zeit in Anspruch nehmen. Falls erforderlich, organisieren wir Ihre Anreise aus Kanada und kümmern uns um einen Flug.«
»Ich habe nicht die Absicht, gleich wieder abzureisen«, stellte sie entschieden klar.
»Gut.«
Sie ging weiter das Formular durch.
Mein Verhältnis zu dem/der Verstorbenen …
Freundin. Beste Freundin.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu der schlaffen, kalten Hand. »Mir ist aufgefallen, dass sie Schnürspuren an den Handgelenken hatte.«
»Ja.«
Sie bedachte ihn mit einem Blick, der eindeutig nach weiteren Informationen verlangte. Als er trotzdem schwieg, fuhr sie fort: »Er hat sie gefesselt, nicht wahr?«
»Wir vermuten, dass sie irgendwo festgebunden war.«
Festgebunden.
»Womit?«, hakte sie nach. »Das sah nicht nach einer Schnur oder einem Seil aus.«
Der Detective schaute sie seltsam an, und ihr wurde klar,
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