Der Fetisch-Mörder
Nächstes kam das Absperrband ins Bild, das das lange, platt getrampelte Gras umgab. Makedde drückte immer wieder auf den Aus-Knopf.
Verdammt! Geh endlich aus!
Schließlich gehorchte der Apparat, und der Bildschirm wurde schwarz.
Mit klopfendem Herzen und Tränen in den Augen legte sie sich aufs Bett und starrte die abblätternde Farbe an der Decke an. Sie atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen.
Denk an irgendetwas anderes. An irgendetwas, nur nicht an Catherine.
Als Kind hatte sie oft stundenlang die Stuckdecke in ihrem Zimmer angestarrt und sich gefragt, wie es wohl wäre, wenn die ganze Welt auf dem Kopf stände. Wenn die Menschen statt auf dem Boden über die Decke gingen, über Kronleuchter und Rauchmelder hinwegstiegen und nach oben langen müssten, um in der Küche die Wasserhähne aufzudrehen, und ihnen das Wasser direkt in den Mund fließen würde. Sie versuchte sich in ihre Kindheit zurückzuversetzen, sich erneut in den Bann ihrer Fantasien ziehen zu lassen, doch es gelang ihr nicht.
Ich brauche eine Freundin. Ich brauche jemanden, der mir hilft, dieses Jahr zu überstehen.
Sie öffnete ihre Brieftasche und kramte ein paar zerknitterte Fotos hervor. Liebevoll betrachtete sie jedes einzelne, und als sie das in der Hand hatte, das sie eigentlich gesucht hatte, strich sie es behutsam glatt und knickte die umgeklappten Ecken wieder in ihre ursprüngliche Position. Cat hatte ebenfalls einen Abzug von diesem Foto gehabt und hatte es mit den optimistischen Worten versehen: Mak und ich kommen in München groß raus! Sie musterte die lächelnden Gesichter, ihr eigenes und das von Catherine; sie posierten auf dem Marienplatz. Cat sah so jung aus. Mit schwimmenden Augen betrachtete Mak in dem Spiegel gegenüber dem Bett ihr eigenes Gesicht. Die Frau, die ihr entgegenblickte, sah deutlich älter aus, als die auf dem Foto.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten Mak und Catherine es toll gefunden, stundenlang vor einem Spiegel zu sitzen und mit Make-up herumzuspielen. Makedde hatte damals bereits als Model gearbeitet und besaß eine von schillernden Farben und Pudern überquellende Tasche voller Schminkutensilien. Sie hatte Cat beigebracht, wie man sie richtig anwendete; ein Kajalstrich hier, ein paar Tupfer Lipgloss da, dann ein wenig Eyeliner für einen dramatischen Effekt, und dazu tiefrote Lippen. Brigitte-Bardot-Augen oder frostige Madonna-Lippen. Auf dem Gesicht der damals dreizehnjährigen Cat sah einfach alles toll aus. Absolut alles. Sie hatte wunderschöne glatte Gesichtszüge. Dasselbe Gesicht hatte Makedde jetzt, sechs Jahre später, von einer Leichenbahre angestarrt; misshandelt und zerstört.
Morgen würde sie Catherines Sachen zusammenpacken und die Collage aus den Zeitschriftenfotos von der Wand reißen. An einem besonderen Platz in der Wohnung würde sie allerdings ein Bild von ihrer Freundin aufstellen; vielleicht das Foto von ihnen beiden in München. Das war doch ganz normal und rational, oder etwa nicht? Ein ganz normales Foto aus besseren Zeiten, ihrer Freundin zu Ehren. Sie musste der Wohnung ihren eigenen Stempel aufdrücken, denn sie würde noch eine Weile in Sydney bleiben – so lange, bis die Polizei Catherines Mörder gefasst hatte.
Ihr fiel ein, dass sie in ihrem Koffer noch ein paar Postkarten und Briefe hatte, die Cat ihr in jüngster Zeit geschrieben hatte. Einen der Briefe hatte sie aus Bondi Beach geschickt. Vielleicht hatte sie beim Schreiben genau da gesessen, wo sie jetzt selber saß. Mak gab sich dem Gefühl des Verlusts hin, ging zu dem kleineren der beiden Koffer und zog die Briefe und Karten aus einem der äußeren Reißverschlussfächer. Beim Anblick der vertrauten, beschwingten Handschrift tat ihr das Herz weh.
Liebe Mak,
viele Grüße vom anderen Ende der Welt! Es ist schon fast Juli, und es dauert nicht mehr lange, bis wir beide uns hier bei den Kookaburras und den Aussies amüsieren. Hier ist es sogar im Winter sonnig, wie im kanadischen Frühling. Glaub mir, es ist super! Ich kann es kaum erwarten, dich endlich wiederzusehen.
Ich bin glücklich, dass ich jetzt endlich in der Nähe meiner großen Liebe wohne. Er hat zwar immer sehr viel zu tun, und wir halten unsere Liebe immer noch geheim, aber wenigstens trennen uns jetzt nicht mehr ganze Kontinente. Er ist wirklich toll, außerdem hat er Klasse. Er wird dir gefallen. Bald ist es kein Geheimnis mehr. Dann wirst du ihn kennen lernen, und wir werden gemeinsam über diese ganze Heimlichtuerei
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