Der Fetisch-Mörder
Makedde keinen Trost. Weder gab es ein anspruchsvolles Kreuzworträtsel noch konnte sie sich mit der interessanten, wenn auch leidenschaftslosen Lektüre über das Leben irgendeines Stars oder Politikers auf andere Gedanken bringen. Stattdessen schrie ihr gleich auf der Titelseite die schockierende Schlagzeile entgegen: MODEL ERMORDET. Ein Foto von Catherine begleitete diesen feinfühligen Titel; die makabre Bildunterschrift lautete: Catherine Gerber, in diesem Monat bereits das dritte Opfer eines brutalen Mordes in Sydney. Auf dem Foto strahlten Catherines feine Gesichtszüge eine glamouröse Distanz aus. Sie wirkte glückselig und schien nicht im Geringsten zu ahnen, welches Schicksal ihr bevorstand.
Mak fragte sich, ob die Agentur Book der Presse das Foto zur Verfügung gestellt hatte und ob Catherine wohl damit einverstanden gewesen wäre. Sie sah darauf hinreißend aus, und zweifellos wurden die Augen sämtlicher Leser an diesem öden Sonntagmorgen von diesem anrührenden Bild in den Bann gezogen. Mak faltete die Zeitung in der Mitte zusammen und legte sie mit dem Foto nach unten auf die winzige Kommode, die neben dem Bett stand. Sie hatte keine Lust mehr, die Zeitung zu lesen. Sie hatte zu gar nichts mehr Lust.
Der hartnäckige Geruch des Todes haftete ihr immer noch in der Nase. Sie schnupperte ein paarmal, und da war er, der unverkennbare, morbide Gestank nach verwesendem Fleisch. Sie hob ihren nackten Unterarm und roch an ihrer Haut.
Tod.
Der Geruch des Todes in ihren Poren.
Den Tränen nahe, sprang sie vom Bett auf und stürmte schwer und schnell atmend ins Bad. Wenn sie die Dinge zu nahe an sich heranließ, verlor sie die Kontrolle. Sie musste dagegen ankämpfen.
Ganz ruhig.
Ruhig.
Sie drückte sich etwas Zahnpasta mit Pfefferminzaroma auf den Zeigefinger und strich sich erst ein wenig davon in das eine Nasenloch und dann in das andere – ein Trick, den sie vor Jahren von einem Pathologen gelernt hatte. Der Geruch einer Leiche kann sich an den Nasenhärchen festsetzen, so dass plötzlich alles nach dem Toten riecht. Sie wusch sich die Nase mit Wasser aus, und zurück blieb nur der frische Pfefferminzduft der Zahnpasta. Beim Atmen schien es ihr jetzt, als ob die ganze Welt nach Pfefferminz duftete. Sie verließ das Bad, ging auf direktem Wege zu dem kleinen Kühlschrank und nahm eine große Tafel Marzipanschokolade heraus. Als sie das knisternde Papier an einer Seite aufgerissen hatte, hielt sie schuldbewusst inne, und obwohl ihr das Wasser schon im Munde zusammenlief, legte sie die Tafel zurück in den Kühlschrank. Tu das nicht. Sie wandte sich von der Küchenzeile ab, doch dann drehte sie sich um und beugte sich erneut zum Kühlschrank hinab. In Windeseile war das Papier entfernt, und ihr Blutzuckerspiegel schnellte in die Höhe.
Dann fiel ihr Blick auf den alten Fernseher, der ihr gegenüber stand. Der kleine Kasten verlangte förmlich danach, eingeschaltet zu werden, also tat sie es, doch er war so laut gestellt, dass ihr beinahe das Trommelfell platzte. Die uralte Fernbedienung war fast so groß wie ein Ziegelstein, und die Batterien waren so gut wie leer, so dass es ihr nicht auf Anhieb gelang, den Fernseher leiser zu stellen. Ein lächelnder Moderator erinnerte sie dröhnend daran, dass an genau diesem Tag im Jahr 1969, also noch bevor sie überhaupt gezeugt gewesen war, der erste Mensch den Mond betreten hatte. Es folgte ein Umschnitt von dem lächelnden Moderator auf altes Filmmaterial, auf dem Neil Armstrong zu sehen war, wie er in seinem aufgeblähten Raumanzug triumphierend auf die staubige Mondoberfläche hinuntertrat. »One small step for me, one giant leap for mankind« – »Ein kleiner Schritt für mich, ein großer Schritt für die Menschheit.«
Man-kind.
Die Kombination dieser beiden Worte erschien Makedde unpassend und pervers.
Als sie den Fernseher noch leiser stellte, hörte sie, dass das Telefon klingelte. Sie nahm ab und meldete sich mit einem täuschend fröhlichen »Hallo?«
Klick.
Die Leitung war tot.
Einen Augenblick lang starrte Mak den Hörer an und legte dann auf. Wie unhöflich. Sie wandte sich wieder dem inzwischen stumm gestellten Fernseher zu und starrte entsetzt in das Gesicht von Catherine. Panik stieg in ihr auf, und kalter Schweiß brach ihr am ganzen Körper aus. Hastig griff sie nach der Fernbedienung und drückte den Aus-Knopf, doch das Ding funktionierte wieder nicht. Im Fernsehen war jetzt die Eingangstür der Book Model Agency zu sehen, als
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