Der Feuergott der Marranen
überrascht hatte. Das Wasser hatte damals den Scheuch fortgerissen,
und der Löwe und das Mädchen waren beinahe in den Wellen ertrunken. Ängstlich
blickten die Marranen jetzt auf den Fluß. In ihrem Tal hatten sie niemals so viel
fließendes Wasser gesehen. Die Bäche, die dort den Hängen entsprangen, strömten
schnell dem Mittelsee zu und bildeten keine Flüsse.
Der Fluß hielt die Armee lange Zeit auf, denn die Marranen konnten nicht schwimmen.
Es mußten Flöße gezimmert werden, mit denen der Feldherr selbst die Soldaten über
das Wasser setzte. Schließlich war dieses Hindernis überwunden, und die ungeordneten
Kolonnen marschierten weiter. Die Soldaten waren hungrig, denn schon am zweiten
Tag des Feldzuges hatten sie den ganzen Proviant verzehrt.
Der Weg führte durch einen Obsthain, in dem ein schrecklicher Tumult entstand.
Hungrig stürzten sich die Soldaten auf die Bäume, schlugen die Früchte ab, die reifen
wie die grünen, und begannen sie wahllos in sich hineinzustopfen. Vergeblich hielt
Urfin sie zur Mäßigung an - niemand hörte auf ihn. Am Abend bekam die ganze Armee
Bauchschmerzen. Davon blieben weder der Oberste Feldgeistliche Krag noch die
Kompanieführer verschont.
Drei Tage wälzte sich die Armee in Krämpfen, und wenn niemand starb, so war das nur
den starken Magen der Marranen zu verdanken. Als sie sich zu erholen begannen,
schärfte ihnen Urfin stundenlang ein, daß sie strengste Disziplin wahren und seinen
Befehlen blindlings zu gehorchen hätten.
Aber wer hätte diese unwissenden Menschen, die zwar schnell begriffen, was man von
ihnen wollte, aber ebenso schnell wieder alles vergaßen, in so kurzer Zeit umerziehen
können?
Am zehnten Tag tauchte abseits von der Straße ein Dorf der Zwinkerer auf. Es kostete
Urfin große Mühe, seine Krieger davon abzuhalten, das kleine Dorf mit der ganzen
Armee anzugreifen. Als sie schließlich begriffen hatten, erteilte der Feldherr der
Kompanie Bois’ Befehl, das Dorf zu nehmen.
Selbstverständlich kam es nicht zu einer Schlacht. Kaum sahen die Zwinkerer die Rotte
brüllender, großköpfiger Menschen auf ihr kleines Dorf zurennen, ergaben sie sich und
wurden augenblicklich aus ihren Häusern gejagt. Es begann ein wüstes Plündern. Das
Dorf zählte 23 Häuser, und in jedem rauften und balgten sich die Eroberer untereinander.
„Das gehört mir!” schrie ein wütender Marrane, dem ein anderer irgendeinen
Gegenstand zu entreißen suchte - einen Stuhl, ein Handtuch oder ein Kissen - ,und dabei
bearbeiteten sie sich gegenseitig mit ihren Fäusten, daß es krachte. Bald da, bald dort
flog durch ein Fenster oder eine offene Tür ein Kämpfer auf die Straße, während die
anderen zum Entsetzen der umstehenden Zwinkerer wild aufeinander eindroschen. Das
dauerte so lange, bis im Zimmer nur ein Mann übrigblieb, der im Raufen die anderen
übertraf. Triumphierend sah er sich um und brüllte:
„Das ist jetzt mein Haus. Noch heute will ich meine Familie holen!”
Als Bois’ Kompanie zur Truppe zurückkehrte, fehlten der Kommandeur und
zweiundzwanzig Mann.
„Wo sind die übrigen?” fragte Urfin. „Sind sie im Kampf gefallen?”
„Nein, Herr”, erwiderte ein Soldat, „sie sind im Dorf geblieben.”
„Was heißt das?” Urfin zog seine schwarzen Brauen zusammen.
„Du hast doch gesagt, wir werden in warmen, bequemen Häusern wohnen, wenn wir sie
erobern”, sagte der Soldat. „Jetzt haben sie sie erobert und wollen in ihnen wohnen.”
„Das hat gerade noch gefehlt!” entschlüpfte es Urfin. „Wenn ich nicht eingreife,
verstreut sich meine Armee über die eroberten Dörfer, und dann kommen wohl nur ich
und der Bär bis zum Violetten Palast. Nein, so geht es nicht!” Urfin kehrte in das Dorf
zurück, um Bois mit seinen Soldaten zurückzuholen.
Eine geschlagene Stunde redete der Feldherr auf die Dickschädel ein. Er malte ihnen
aus, welch herrliche Schätze ihrer harrten und wie verlockend die Smaragdenstadt sei.
Aber das konnten die Marranen mit ihren unentwickelten Hirnen nicht begreifen. Wie
sollten sie auch, wenn vor ihnen die Häuser der Zwinkerer so schön und einladend
standen!
Nur mit Mühe gelang es Urfin, die Soldaten doch zu überreden. Als sie fort waren,
gingen die Zwinkerer daran, ihre verwüsteten Behausungen wieder herzurichten.
Aber wie sah die Kompanie Bois’ nach diesem ersten „Gefecht” aus! Der eine hatte sich
einen Kochtopf auf den Kopf gestülpt, ein anderer hielt viele Messer und Gabeln
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