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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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Elisa«, flüstert er. »Du weißt bestimmt, wie sehr ich dich …«
    »Tötet ihn«, befiehlt Treviño.
    »Nein!« Ich springe vom Sofa, um Humbertos Körper mit meinem eigenen zu schützen. Aber der Wächter greift mit der Hand in Humbertos Haar und reißt ihm den Kopf zurück.

    Ich greife noch nach ihm, als schon der Stahl aufblitzt, kalt und schnell, und über seinen Hals fährt. Das Fleisch teilt sich glatt und offenbart ein blutrotes Lächeln.
    Er stolpert nach vorn, und nun fange ich ihn auf. Trotz seines Erschauerns, trotz seines flüssigen Atems fassen seine Arme um meine Taille, und er presst mich heftig an sich. Kehlige Laute dringen aus seinem Mund. Mein Name. Er versucht, meinen Namen zu sagen.
    Humbertos Beine geben unter ihm nach, und wir stürzen beide auf den Teppich. Ich vergrabe mein Gesicht in seinem Haar, als er ertrinkend gegen mich sinkt. Die Arme um meinen Leib werden schlaff. Zu spät flüstere ich: »Ich liebe dich.«
    Am liebsten würde ich ihn bis in alle Ewigkeit so festhalten, aber Hände ergreifen ihn, ziehen ihn von mir weg. Ich bleibe in der Hocke sitzen, zittere am ganzen Leib und sehe seinem leblosen Körper nach, als sie ihn davonschleifen. Seine Augen sind noch immer weit aufgerissen, aber der Junge, den ich einmal kannte, lebt nicht mehr in ihnen.
    Ein klagendes Geräusch dringt an meine Ohren. Hoch, wild. Dann erst merke ich, dass ich es bin, die dieses Geheul ausstößt.
    Man hebt mich mit viel Druck gegen meine Achseln wieder auf die Beine. Der Conde steht vor mir, und ich stürze mich auf ihn. Der Wächter reißt mich zurück, und nun falle ich auch über ihn her, aber ich bin schwach. In kürzester Zeit werden mir die Arme an den Körper gepresst, und wieder sehe ich den Conde. Treviño hat einen Blutspritzer auf der Wange, und eine Linie kleiner Blutstropfen zieht sich bis zu seiner Stirn. Von meinen Haaren, wie ich mit etwas Verzögerung erkenne. Als ich herumgewirbelt bin.

    Er flüstert mir mit leiser Stimme zu: »Ihr werdet mir von den Malficio erzählen. Für jeden Tag, den Ihr schweigt, wird einer Eurer Gefährten sterben. Ich werde Euch morgen Nachmittag wieder holen lassen. Wenn Ihr mir dann nicht verratet, wo sich das Lager der Malficio befindet, stirbt der Junge.«
    Benito. Ihn hatte ich ganz vergessen.
    Die Wächter schleifen uns wieder durch die Flure zu unserem Zimmer zurück. Ich habe keine Kraft mehr. Keine Entschlossenheit. Nicht einmal mehr Wut. Nur noch Trauer, so tief, dass ich darin zu ertrinken fürchte.
    Die anderen wissen sofort, was geschehen ist, als die Wächter die Tür öffnen. Sie sehen, dass Humberto nicht bei uns ist, sehen mein Haar und meine Reitkleidung, verschmiert mit Blut, das jetzt schon kalt und trocken wird.
    Alle außer Cosmé, die sofort fragt: »Was ist passiert? Wo ist Humberto?«
    Die Tür fällt zu und schließt uns wieder ein.
    Ich kann nichts sagen, ich zittere viel zu stark. Die Gesichter meiner Gefährten verschwimmen, und ein scharfer Schmerz zuckt durch meine Schläfen. Oh Gott, oh Gott … Der Feuerstein wird warm durch meine Trauer.
    Der Feuerstein. Das ist es, was Invierne will. Nicht mich, nicht die Malficio. Nur den Stein aus meinem Inneren, um ihre göttliche Zahl Zehn zu komplettieren.
    »Ich brauche ein Messer«, sage ich.
    Sie starren mich an.
    »Ein Messer!«, kreische ich. »Hat denn keiner hier ein Messer?«
    Jacián tritt auf mich zu, das Gesicht finsterer denn je. Er
greift in seinen Stiefel und zieht eine winzige Klinge hervor, kaum länger als mein Zeigefinger, wirbelt sie herum und reicht sie mir mit dem Griff voran. Dann tritt er zurück und überkreuzt die Arme. Unausgesprochene Fragen stehen in seinen Augen.
    Ich reiße mir die Lederweste vom Körper und ziehe das Unterhemd hoch, entblöße meinen jetzt straffen Bauch, in dem blaues Feuer blitzt.
    »Was machst du da?«, fragt jemand.
    Ich stoße die Messerspitze in meinen Nabel, genau dorthin, wo die Haut sich ein wenig über den eingebetteten Stein schiebt. Dann bewege ich die Klinge weiter, am Rand des Steins entlang. Unerwarteter Schmerz schießt durch meinen Bauch, meinen Hintern hinunter, nimmt mir den Atem. Es ist wie ein Blitz, wild zuckend und brennend. Aber es ist nicht so schlimm wie meine Trauer, und deswegen bohre und schabe ich weiter. Blut rinnt über meine Haut auf meine Hosen, wo es sich mit Humbertos vermischt. Aber der Feuerstein bleibt, wo er ist. Ich versuche, ihn mit den Fingern zu greifen, bekomme ihn jedoch nicht zu fassen.

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