Der Feuerstein
Also schiebe ich das Messer noch einmal in einem anderen Winkel hinein. Der Schmerz ist zu stark; Schwäche überwältigt mich, und plötzlich spüre ich meine Beine nicht mehr.
Schließlich gebe ich es auf, ihn herausreißen zu wollen, und beschließe, das Messer einfach darum herum zu führen. Der Schnitt wird tief gehen müssen. Denk nicht darüber nach, Elisa, tu es einfach. Ich hebe das Messer.
Finger umschließen mein Handgelenk, schmal und doch stark. Nägel bohren sich in meine Handfläche. Das Messer fällt klappernd zu Boden. »Es ist gut, Elisa.« Cosmés Stimme.
Arme umschlingen mich. Dunkles Haar streift meine Wange.
»Aber ich will ihn nicht«, flüstere ich ihr ins Ohr. »Ich bin erledigt. Gott hätte mich niemals erwählen sollen. Er hat sich geirrt, und ich bin erledigt.«
»Vielleicht ist er doch noch nicht fertig mit dir.« Gemeinsam sinken wir auf die Knie. Sie hält mich so fest, dass ich beinahe erwarte, daran zu sterben.
»Aber, Cosmé …«
»Ich weiß.« Ich spüre ihren Körper bebend an meinem, und meine Wange ist nass von ihren Tränen. »Ich weiß.«
28
C osmé und Mara helfen mir nach Kräften dabei, mich in der angrenzenden kleinen Badestube wieder zu säubern. Sie ziehen mir die blutgetränkten Lederkleider aus und werfen sie in eine Ecke. In unserem kargen Gemach gibt es kein fließendes Wasser, und so wischen sie meine Haut mit einem Stück Stoff ab, das sie von einem Betttuch abgerissen haben. Mein Bauch pocht wild vor Schmerz, und die Messerstiche, die ich mir beigebracht habe, nässen immer noch, aber ich bin nicht mehr ganz so schlimm blutverkrustet und kalt, als Mara das übrig gebliebene Stück Laken um mich wickelt und geschickt an meiner Schulter zusammenbindet.
»Wenn die Wächter wiederkommen, bitte ich um einen Eimer Wasser«, sagt sie.
Wir versammeln uns im Schlafraum. Die meisten sitzen auf den Betten und lassen die Beine baumeln. Nur Jacián und Mara stehen. Jetzt, wo wir einer weniger sind, wirkt dieser Raum plötzlich so unendlich viel größer.
Jacián bricht als Erster das Schweigen. »Wir könnten die Wächter überwältigen. Wir sind zu acht und wir haben noch mein Messer.«
Cosmé schüttelt den Kopf. »Der Durchgang ist zu schmal. Wir müssten sie immerhin alle überwinden, Mann für Mann, während sie nichts weiter tun müssen, als uns wieder hier drinnen einzusperren. Und ohne Waffen …«Ihre Stimme klingt fest und sicher, und ihre Augen sind ohne Tränen. Ich muss die Zähne fest zusammenbeißen, so falsch kommt es mir vor, dass es ihr gelingt, über den Tod ihres Bruders mit so viel Leichtigkeit hinwegzugehen, während ich kaum atmen kann.
»Vielleicht können wir einen der Wächter hier hereinlocken?« , schlägt Benito vor.
Jacián nickt. »Oder sogar zwei. Ich glaube nicht, dass wir von mehr als vier Leuten gleichzeitig bewacht werden. Also könnte die Hälfte von uns die Wachmänner ins Zimmer zerren, und die anderen stürmen dann die Tür.«
»Das ist nicht ohne Verluste zu schaffen«, sagt Cosmé. »Sie haben Waffen. Wir nicht.«
Verzweifelt sehen wir einander an. Natürlich hat sie recht, und nach dem heutigen Tag ist die Drohung von Verlusten schrecklich real.
»Es ist Zeit«, flüstert Cosmé, »dass ich mich dem Conde zu erkennen gebe.« Aber sie senkt bei ihren Worten den Kopf, und ihre Faust, die sich in einen Bettüberwurf gekrallt hat, wird weiß. Sie hasst ihn, das erkenne ich jetzt. Hier geht es nicht um bloße Abneigung, um Unannehmlichkeiten oder Scham, sondern um wild aufflackernden Hass, unterfüttert mit ein wenig Furcht.
»Vielleicht würde es alles nur noch schlimmer machen«, sagt Jacián. »Was wird er tun, wenn er erfährt, dass seine Tochter ihn betrogen hat und zu den Malficio übergelaufen ist?«
»Tu es nicht, Cosmé«, flüstere ich. Ich blicke auf den Boden, auf meine nackten Zehen, die mit den Fransen eines abgetretenen Teppichs spielen, aber ich fühle, wie mich die anderen ansehen. »Treviño blufft. Invierne wird gegen ihn marschieren, weil wir ihre Lebensmittel vergiftet haben, davon bin ich überzeugt. Er hofft, dass er seinen Hals aus der Schlinge ziehen kann, indem er die Malficio preisgibt. Aber daran ist Invierne nicht interessiert. Sie wollen nur meinen Feuerstein, sonst nichts.«
Cosmé kniet sich vor mich hin und sieht zu mir auf. »Du kannst dich nicht in ihre Hand geben.«
Beinahe hätte ich laut gelacht. »Als ihr mich entführt habt, da wart ihr euch nicht sicher, ob ich eurer Sache
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