Der Feuerstein
mit ihr auseinanderzusetzen, weiß nicht, welche Fragen ich stellen sollte.
Noch fünf weitere Tage quälen wir uns durch den Dschungel. Wir sind erschöpft von den doppelten Wachen, und unsere Glieder sind steif und schmerzen. Doch langsam lassen wir das erstickende Grün des Regenschattens hinter uns und erreichen die dürre Seite der Berge, hinter der sich die Wüste ausbreitet. Joya d’Arena, das Juwel des Sandes, erstreckt sich vor uns. Orangerote Dünen wellen sich bis zum Horizont, in jenem weichen Licht flammender Hitze. Ich weiß, dass Joya ein hartes, verdorrtes Land ist, aber der windgepeitschte
Sand und das schwindende Licht lassen es samtweich und freundlich erscheinen.
Lord Hector führt uns in westlicher Richtung am Rand der Wüste entlang, dem Meer entgegen. Am Horizont, mehrere Tagesreisen entfernt vielleicht, kann ich einen dünnen grünen Streifen erkennen, aber in der flirrenden Hitze ist es schwer, etwas Genaues auszumachen. Hinter den Palmen liegt Brisadulce, Joyas Hauptstadt. Alodia war einmal dort und hat bei ihrer Rückkehr von einer faszinierenden Oase berichtet, von wunderschönen Sandsteinbauten und lebhaften Menschen, die ihr jede Menge Bewunderung entgegenbrachten.
Ich fiebere unserer Ankunft entgegen, schon allein weil ich endlich meine Kleider wechseln möchte, baden und mich in einer enormen Mahlzeit mit vielen verschiedenen Gängen verlieren. Schon allein der Gedanke an frisches Obst und kühlen Wein bereitet mir Kopfschmerzen.
Wir lagern an einem kleinen Bach, der sich von den Bergen hinabschlängelt und nach Westen zur Stadt und zur See fließt. In unserer geliehenen Kutsche lässt mich Ximena mein Kleid ausziehen, damit sie es waschen kann. Sie hilft mir bei den Knöpfen, und ihre Nähe beruhigt mich einerseits, macht mich andererseits aber auch nervös. Solange ich mich erinnern kann, ist sie wie eine Mutter zu mir gewesen. Aber nun, da ich immer wieder an die Haarnadel denken muss, an dieses Ding, das ich fast jeden Tag in meinem Leben gesehen habe und das dann plötzlich aus dem Hals eines Mannes ragte, wundere ich mich selbst, wie wenig ich über sie weiß. Ich habe nie gefragt. Woher kommt Ximena? Seit wann arbeitet sie für meine Familie? Warum
hat sie begonnen, mich so zu lieben? »Du verwöhntes Ding«, hat Alodia mehr als einmal zu mir gesagt, als wir beide noch kleiner waren. »Du wirst doch nur deswegen so verhätschelt, weil du die Auserwählte bist.«
Alodia hat recht.
»Ximena?«
»Ja, Liebes?« Ihre Finger sind noch immer damit beschäftigt, die Korsettstangen an meinem Rücken zu lockern.
»Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«
Ihre Finger verharren. »Wieso sagst du das, mein Himmel?«
Tränen brennen in meinen Augen. »Ich weiß nicht, wer du bist, ich weiß gar nichts über dich. Ich weiß nicht, wer Aneaxi ist. Und das ist meine Schuld.«
Dieses Mal tut meine Kinderfrau meine Einwände nicht mit Plattitüden oder Schmeicheleien ab. Sie umschließt mich nur mit ihren starken Armen und hält mich fest.
Ximena wurde früh Waise, wie sie mir berichtet. Als kleines Mädchen hat sie die Priester im Refektorium bedient und ihre Gewänder gewaschen. Einem der Geistlichen, Vater Donatzine, fiel ihre stille, arbeitsame Natur auf. Er lehrte sie Lesen und Schreiben, das sie schließlich gut genug beherrschte, um die großen historischen Dokumente des Klosters zu Amalur zu kopieren, wo sie ein besonderes Interesse an der Allgemeinen Lehre ergebenen Dienens entwickelte. Nachdem sie die kostbaren Worte viele Jahre lang in ihr Herz eingraviert hatte, empfahl Vater Donatzine sie meinem Vater, der damals noch ein junger Prinz war.
»Ich besuche Vater Donatzine heute noch oft, wenn es mir
möglich ist«, sagt sie, während sie meinen Rock zum Trocknen vor das Kutschenfenster hängt. »Er sieht mittlerweile nicht mehr gut, daher lese ich ihm vor. Er liebt die Passagen in der Scriptura Sancta über die Auserwählten Gottes.« Sie hat ein wunderschönes Lächeln, das glückliche Fältchen um ihre kleinen Augen entstehen lässt. »Er war so froh, als Gott dich an deinem Namenstag erwählt hat. Er hatte stets betont, dass er unbedingt lange genug leben wollte, um mitzuerleben, wie der nächste Träger benannt wird.«
Ich kann mich nicht an Vater Donatzine erinnern. Vermutlich sollte es mir schmeicheln, dass ein Mann, den ich nie kennengelernt habe, meiner Existenz eine solche Bedeutung beimisst. Aber ich fühle mich eher bedrängt.
Dann fällt mir eine Frage
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