Der Feuerstein
mein Ehemann und meine Schwester.
Er interpretiert mein Schweigen als Zögern. Sein Blick ist fest auf mich gerichtet, als er sich vom Stuhl erhebt und an mein Bett tritt. »Bitte, Elisa«, flüstert er.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als er meine Hand ergreift, die formlos im Vergleich zu seinen geraden, starken
Fingern erscheint. Aber dann beugt er sich weiter zu mir, bis ich seinen Geruch würziger Wildheit wahrnehmen kann.
»Das ist es, worüber wir damals sprachen«, raunt er. »In jener Nacht. Als ich sagte, dass ich eine Freundin gebrauchen könnte.«
In unserer Hochzeitsnacht. Wieso kann er das nicht aussprechen? Trotzdem nicke ich. Ich würde zu allem Ja sagen, während seine Lippen den meinen so nah sind.
Er lehnt sich zurück, der intensive Blick weicht seinem lockeren, jungenhaften Lächeln. Nun, da er mir nicht mehr so nahe ist, regt sich mein Verstand.
»Diese Tür, durch die du hereingekommen bist – wohin führt sie?«
Falls ihn der abrupte Themenwechsel irritiert, lässt er es sich nicht anmerken. »In meine Gemächer. Sie sind natürlich mit diesen verbunden.«
Natürlich. Diese Räumlichkeiten hier müssen zuvor Königin Rosaura gehört haben. Immerhin, so viel hat er mir zugestanden.
»Dann wirst du den Prinzen mit dir hierherbringen?«
»Oh ja! Er ist ein aufgewecktes Kind mit schneller Auffassungsgabe. Schon jetzt ist er ein sehr geschickter Reiter. Ich möchte, dass ihr beide euch kennenlernt.«
»Das würde mich auch sehr freuen.« Aber das stimmt nicht. Der Mutterrolle fühle ich mich noch weniger gewachsen als der Rolle als Ehefrau.
Alejandro wendet sich zum Gehen. In der Tür, die unsere Suiten miteinander verbindet, dreht er sich noch einmal zu mir um und sagt: »Lord Hector hatte recht. Du hast wirklich Stahl in dir.«
Nach Alejandros Abreise ziehen sich die Tage endlos hin. Zwar habe ich eingewilligt, seine Augen und seine Ohren zu sein, aber dennoch meide ich den Speisesaal und die taktierenden Edelleute, soweit es irgend möglich ist, und esse lieber allein beim Küchenmeister. Er ist ein netter Mensch, dünn und stets mehlbestäubt, und er scheint meine Gesellschaft zu genießen.
Die Nachmittage verbringe ich bei Vater Nicandro. Gemeinsam gehen wir die Belleza Guerra durch und suchen in meiner Abschrift nach inhaltlichen Fehlern. Sein Studierzimmer erinnert mich mit den überall herumliegenden Schriftrollen, den staubigen Pergamenten und den Ziegelwänden sehr an das von Meister Geraldo. Es riecht nach Kerzen und Alter und getrockneter Tinte, und ich muss nur die Augen schließen, um mir vorzustellen, ich sei wieder in Orovalle, an dem einzigen Ort, an dem ich mich nicht nutzlos fühle.
Viele Fragen gehen mir durch den Kopf, was den Feuerstein und seine Geschichte betrifft, und ich wüsste auch gern, wieso Vater Nicandro Ximena meine Beschützerin genannt hat. Aber meine Kinderfrau ist stets in meiner Nähe, bewahrt mich vor mir selbst, und ich habe Angst, das Thema anzusprechen, weil ich fürchte, dass sie es sich noch einmal überlegt und den Priester doch nicht verschont. Eines Morgens stehe ich früh auf und schleiche mich aus unserer Suite, um ihn aufzusuchen, aber er ist nicht da. Bei meiner Rückkehr schimpft mich Ximena aus, weil ich ohne Bewachung unterwegs war, und die Angst, die wild und wahrhaftig in ihren Augen steht, beunruhigt mich.
Cosmé ist den ganzen Tag über zur Stelle. Obwohl nie irgendjemand
Aneaxis Platz wird einnehmen können, ist Cosmé doch die tüchtigste Zofe, die ich jemals hatte. Das sage ich ihr auch des Öfteren, und es ist mir jedes Mal wieder ein bizarres Vergnügen, dass sie sich Lob von jemandem gefallen lassen muss, den sie verabscheut. Die Scriptura Sancta nennt das »Feuer der Freundlichkeit«.
Eines Tages ist sie gerade dabei, die Feuerstelle zu reinigen, Hände und Arme sind bis zu den Ellenbogen schwarz vor Ruß, als ich ihr den Vorschlag mache, ihre Sachen in Ximenas Zimmer zu bringen. »Dort ist genug Platz«, erkläre ich. »Ich weiß doch, wie eng es in den Dienstbotenquartieren ist.«
»Vielen Dank.« Cosmé sieht nicht einmal auf. »Aber im Augenblick habe ich die Räume meiner Herrin für mich allein.«
»Tatsächlich?« In diesem Augenblick wird mir bewusst, dass ich die Condesa Ariña seit Tagen, vielleicht schon seit Wochen nicht mehr gesehen habe.
»Sie ist doch mit dem König nach Puerto Verde gereist«, sagt Cosmé ganz nebenbei, während sie die Asche aus dem Kamin kratzt, aber ihre Worte treffen
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