Der Feuerstein
allein.
»Wie war dein erster Tag in Brisadulce?« Er lehnt sich leicht an die Wand; die Entfernung zwischen uns ist enttäuschend groß, vermittelt aber auch Sicherheit.
»Schön.« Jetzt würde ich gern irgendetwas Geistreiches sagen. »Dein Küchenmeister macht herrliche Kokos- und Honigbrötchen.«
Alejandro hebt leicht eine Augenbraue, und ich würde mir am liebsten die Decke über den Kopf ziehen. Königin Rosauras schmales Gesicht und ihr schlanker Hals blitzen vor meinen Augen auf. Sie hat vermutlich kaum Zeit in den Küchen verbracht.
Aber es liegt keinerlei Verachtung in seinem Lächeln; vielmehr scheint er sich über das Kompliment zu freuen. »Es tut mir leid, dass ich euch nicht selbst herumführen konnte.«
Das finde ich auch bedauerlich. Es wäre eine schöne Gelegenheit gewesen, um einen ganzen Tag lang an seinem Arm zu hängen. »Lord Hectors Gesellschaft war sehr angenehm.«
»Lord Hector ist ein guter Freund«, sagt er mit Bedacht. »Er wurde mein Page, als er noch ein Junge war. Später zog ich ihn mehr und mehr ins Vertrauen.«
Höflich nickend frage ich mich, weshalb er mir das erzählt. Zwar kenne ich Alejandro noch nicht lange, aber ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ihm viel an höflicher Konversation gelegen ist. In die Stille hinein erwidere ich: »Er hält sehr große Stücke auf dich.« Das stimmt nicht ganz, aber es erscheint mir angemessen.
»Er lobt auch dich in höchsten Tönen.«
»Oh?« Hoffentlich ist im Kerzenlicht nicht zu erkennen, dass ich rot werde.
»In der Tat. Er sagte, du hättest Stahl in dir, und du seist
weiser, als dein Alter eigentlich vermuten ließe. Mehr wollte er nicht verraten, was ein wenig seltsam ist, da wir, wie ich schon sagte, sehr enge Vertraute sind.« Es irritiert ihn offenbar, dass Hector ihm etwas vorenthält. Und mich stört, dass Alejandro sich offenbar sehr bewusst ist, dass ich noch so jung bin.
»Ich weiß nicht, was er damit meint«, lüge ich. Lord Hector hat gesehen, wie ich mich für Vater Nicandro eingesetzt habe. Zwar verstehe ich nicht, wieso der Gardist Alejandro den Vorfall nicht berichten wollte, aber es ist mir recht, dieses harmlose, kleine Geheimnis mit ihm zu teilen.
Alejandro zuckt mit den Schultern und wendet den Blick ab, und diese Geste der Verletzlichkeit rührt mich so sehr, dass ich mich bei der Schilderung der Tagesereignisse nun beinahe überschlage. Ich wünschte, er würde sich zu mir aufs Bett setzen, und ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn seine Wange sich an meine schmiegte und meine Finger durch sein Haar strichen.
Schließlich sagt er: »Ich brauche deine Hilfe, Elisa.«
»Meine Hilfe?«
»Bitte. Morgen reise ich nach Puerto Verde, um meine Mutter zu besuchen und meinen Sohn abzuholen. Er wurde die letzten Jahre dort aufgezogen.«
»Oh.« Ich blicke zu Boden, um meine Enttäuschung zu verbergen. »Wie lange wirst du unterwegs sein?«
»Einen Monat.«
Einen ganzen Monat! Ich bin stolz, dass meine Stimme gelassen klingt, als ich frage: »Und in welcher Hinsicht benötigst du meine Hilfe?«
Er zieht einen der Stühle zu sich heran und schwingt ein
langes Bein über den Sitz, um rittlings darauf Platz zu nehmen. Seine Arme umschlingen die Lehne, und er legt den Kopf ein wenig schräg. »Du bist erst kurze Zeit in Brisadulce und darüber hinaus bist du von königlichem Blut. Wenn ich unterwegs bin, werden einige aus dem Hofstaat herausfinden wollen, aus welchem Holz du geschnitzt bist und inwieweit du ihnen von Nutzen sein kannst.«
Ich nicke bei seinen Worten. Diese subtilen Spielchen, diese unterschwelligen Machtkämpfe sind mir vertraut. Mein ganzes Leben lang habe ich sie beobachtet, wenn auch stets mit mildem, verwundertem Desinteresse. Zu Hause ist es Juana-Alodia, die dieses Spiel meisterlich beherrscht, und Orovalles nobleza d’oro tanzt wie hypnotisiert nach ihrer Pfeife.
»Du könntest mir eine wirklich große Hilfe sein, Elisa«, fährt Alejandro fort. »Einfach indem du aufmerksam beobachtest, was um dich herum geschieht. Schreib es auf, wenn du es dir dann besser merken kannst. Schreib auf, wer dich aufsucht, was er dir anbietet, alles, was dir wichtig erscheint. Und wenn ich dann zurückkomme …«
Er will einen Spitzel in seinem eigenen Haus. Vielleicht fürchtet er, dass einige seiner eigenen Höflinge gegen ihn intrigieren. Oder vielleicht geht er nur ähnlich vor wie Alodia und nutzt jeden verfügbaren Bauern für sein Spiel. Die beiden hätten so gut zueinandergepasst,
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