Der Feuerstein
keine Haarnadel trägt.
Aber wahrscheinlich kennt sie viele verschiedene Wege, um einen Mann zu töten.
Hastig trete ich vor und stelle mich zwischen Ximena und den Priester. In diesem Augenblick bin ich tatsächlich dankbar für meine Leibesfülle. »Vater Nicandro«, sage ich mit einem Lächeln auf den Lippen, auch wenn es meine Augen
nicht erreicht. »Ich bin Elisa, und ich freue mich, Euch kennenzulernen.«
Zwar bin ich nicht groß, aber ich überrage ihn trotzdem um einen halben Kopf.
Erfreut lächelt er zu mir auf. »Willkommen im Kloster zu Brisadulce. Unseres war das Allererste, müsst Ihr wissen. Es wurde nur wenige Jahre, nachdem Gott unsere Vorfahren aus der sterbenden Welt in seiner rechtschaffenen rechten Hand davontrug, hier erbaut.«
Ich nicke. »Ich habe gehört, dass Ihr die älteste bekannte Abschrift der Belleza Guerra besitzt.«
»Ja, ja. Viele Jahrhunderte alt. Leider wird das Pergament nicht mehr lange erhalten werden können.«
Ximena steht hinter mir, ich fühle ihre gespannte Aufmerksamkeit, aber ich achte nicht auf sie. »Ich würde dieses Manuskript sehr gern mit meiner eigenen Abschrift vergleichen. Es gibt einige Stellen, an denen der Text, wie ich fürchte, ein wenig abgewandelt wurde.«
Sein Lächeln wird noch breiter, und als ein aufgeregtes Zucken über seine scharfen Züge geht, weiß ich, dass ich endlich einen Freund gefunden habe. »Bitte, kommt, wann immer Ihr möchtet. Ich denke, Ihr seid mit der Lengua Classica vertraut?«
»Es ist die schönste Sprache der Welt.«
Eine bessere Antwort hätte ich nicht geben können. Er klopft mir auf den Rücken und führt mich nun durch das Kloster und die angrenzende Bibliothek mit ihren heiligen Dokumenten. Ximena und Lord Hector folgen uns schweigend.
Später, viel später bringt uns Lord Hector zurück in unsere Räumlichkeiten. Wir bedanken uns und verabschieden uns von ihm, dann werfe ich mich erschöpft auf mein Bett. Seit Jahren bin ich nicht mehr so viel gelaufen.
Ximena lässt mir ein Bad ein, während ich mich ausruhe. Eine leichte Brise bläht den Vorhang vor dem Balkon und lässt die Wedel einer großen Palme rascheln. Eine Palme! Mit einem Ruck setze ich mich auf und sehe mich im Zimmer um. Zwei Stühle – schlicht, aber solide – stehen neben der geheimnisvollen verschlossenen Tür. An der gegenüberliegenden Wand reihen sich nun mehrere Topfpflanzen aneinander, eine Palme, ein Bäumchen mit münzgroßen Blättern, ein winziger Rosenbusch mit weichen rosa Blüten. Lächelnd lasse ich mich wieder auf die Matratze sinken und finde die Vorstellung, mich bei Cosmé für all das zu bedanken, nicht einmal unangenehm.
Meine Kinderfrau ruft mich ins Atrium. Ich mache mir Sorgen um meinen neuen Freund, Vater Nicandro, und kann ihr nicht in die Augen sehen, während ich die Kleider abstreife. Ximena stützt mich, als ich über die rutschigen Fliesen ins Bad steige. Das Wasser fühlt sich herrlich an meinen wunden Füßen an; es duftet leicht nach Nelken.
Als ich es mir bequem gemacht habe, beginnt Ximena, meine Schultern zu massieren, aber ich gebiete ihr Einhalt.
»Ximena?«
»Ja, mein Himmel?«
»Wirst du …« Es fällt mir unendlich schwer, diese Frage auszusprechen, und die Worte liegen mir wie Steine in der Kehle. »Ich wollte fragen … wirst du Vater Nicandro töten?«
Sie atmet scharf ein, als wollte sie ein Aufschluchzen unterdrücken: »Oh, Elisa.« Ich fühle ihre Lippen auf meinem Haar. Sie verharren dort lange. »Nein, das werde ich nicht.«
Mit einem Seufzer schließe ich die Augen und kann mich nun endlich entspannen. »Danke.«
7
D ie Kerzen flackern im Windzug vom offenen Balkon, und die Worte der Scriptura Sancta verschwimmen vor meinen Augen. Gerade will ich die Flammen löschen, als jemand von der anderen Seite an die geheimnisvolle Tür klopft.
Ximena stürzt aus dem Atrium in mein Zimmer, mit zerzaustem Haar und alarmiertem Gesicht. Auf ihre unausgesprochene Frage hin kann ich nur mit den Schultern zucken. Das Klopfen ertönt erneut.
»Herein«, sage ich schließlich, während meine Kinderfrau nahe an mein Bett tritt.
Geräuschlos schwingt die Tür auf. Alejandro steht vor uns, aufrecht, groß und schön.
»Hallo, Lucero-Elisa, Ximena.«
Ximena entspannt sich und sinkt in einen eleganten Knicks. »Majestät.« Sie erhebt sich wieder und lächelt. »Wenn Ihr mich entschuldigt, dann gehe ich wieder ins Bett.«
Seit unserer Hochzeitsnacht waren der König und ich nicht mehr
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