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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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mich zu erwählen.
    Meine Finger fassen nach dem Feuerstein und fahren über seine kühle Oberfläche. Er war den ganzen Tag über seltsam ruhig. Ich verstehe nicht, wieso ich hier bin, Gott. Vielleicht hast du doch einen Fehler gemacht.
    Der Stein reagiert auf mein Gebet und vibriert sanft. Diese zusätzliche Regung ist zu viel für meinen Bauch, und ich erhebe mich hastig vom Bett und renne ins Atrium. Unmöglich,
es noch bis zum Abtritt zu schaffen. Ich klammere mich an die Fliesen des Badebeckens und erbreche den Inhalt meines Magens über den Rand. Ich würge so lange, bis meine Nase und meine Kehle brennen und mein Bauch vom krampfartigen Zusammenziehen schmerzt.
    Atemlos lasse ich mich auf den Boden sinken und lehne meine Wange gegen die herrlich kühlen Fliesen. Der Geschmack in meinem Mund ist scheußlich, aber ich fühle mich zu schwach, um aufzustehen. Nach einer Weile merke ich, dass die Schmerzen im Unterbauch aufgehört haben.
    Wieder fasse ich nach dem Feuerstein. Hilf mir, flehe ich leise. Der Stein reagiert, wird heiß und pulsiert, aber dieses Mal wird mir davon nicht übel. Aus Verzweiflung bete ich so intensiv wie seit Wochen nicht mehr. Ich erzähle Gott von Vater Nicandro und den toten Feuersteinen, die ich unter meiner Palme vergraben habe. Ich erzähle ihm von Condesa Ariña, Cosmé und Lord Hector. Ich frage ihn, ob die Anhänger der Vía-Reforma, die mich in Unwissenheit hielten, fehlgeleitet waren, und erbitte seinen Schutz, sollte ich einmal vor den Toren des Feindes stehen.
    Ich bitte ihn um Vergebung dafür, dass ich an ihm gezweifelt habe. Und ich erzähle ihm, wie sehr ich mir wünsche, dass Alejandro mich liebt.
    Ximena rüttelt mich einige Zeit später sanft wach. Als ich die Augen öffne, liege ich mit der Wange auf dem harten Mörtel, und ein stechendes Knacken in meinem Hals erschwert jede Bewegung. Die Morgensonne hat gerade eben das Oberlicht erreicht und umhüllt mich mit dunkel orangefarbenem Schimmer. Ximena tritt zurück in die Schatten, und ich bleibe einen Augenblick allein, in Gottes strahlendes
Licht getaucht. Wärme durchdringt meinen Körper und fließt von den Armen und Beinen bis zu dem leisen Summen in meinem Nabel. Von tiefer Freude erfüllt bewege ich die Zehen.
    »Mein Himmel.« Ximenas Stimme ist sanft, auch wenn leichte Verwunderung in ihr mitschwingt. »Du solltest versuchen, noch etwas zu schlafen. In deinem Bett. Heute Nachmittag ist deine erste Quorumssitzung.«
    Das hatte ich ganz vergessen. Ich richte mich mühsam auf und trete zögernd aus meinem Sonnenstrahl heraus, aber er löst sich ohnehin auf oder beginnt vielmehr, sich auszubreiten, bis das ganze Atrium von diffusem Tageslicht erfüllt ist.
    Der warme Schimmer bleibt bei mir, pulsiert wie Blut durch meinen Körper, noch lange nachdem ich auf mein Bett gesunken und in leichten Schlaf gefallen bin.

11

    A uf meine erste Sitzung mit den Fünfen bereite ich mich sorgfältig vor. Mir ist noch ein wenig übel, daher bitte ich Ximena, mir ein schlichtes Frühstück aus Brot und frischen Früchten zu besorgen. Dann gleite ich in das inzwischen gereinigte Becken, bleibe im Wasser liegen, atme tief und warte auf sie.
    Vielleicht ist das Quorum der Feind, von dem in Homers Afflatus die Rede ist. Aber nach einer im Gebet verbrachten Nacht auf den Fliesen meines Atriums erfüllt mich ein seltsamer Friede. Ich bin von Gott auserwählt, versichere ich mir selbst. Die Trägerin.
    Als Ximena zurückkehrt, hilft sie mir beim Abtrocknen und Ankleiden. Sie hat eine neue Bluse genäht, passend zu meinem Rock, die mich locker umspielt; ein schönes Stück aus schimmernd rotem Stoff, abgesetzt mit einer Schärpe aus schwarzem Samt. Zusammen mit dem weißen, gerafften Rock lässt es mich größer erscheinen, vielleicht sogar schlanker.
    »Danke, Ximena. Sie ist wunderschön.« Meine Kinderfrau lächelt breit über mein Lob, und mein Herz macht einen
kleinen Sprung. Man kann sie mit so kleinen Dingen glücklich machen.
    »Schwarze Stiefel«, sagt sie, und ich nicke. Zwar hasse ich dieses Schuhwerk mit seinen Absätzen und drückenden Stegen, aber immerhin macht es mich eine halbe Handspanne größer. Ich weiß nicht, was man bei einer Quorumssitzung üblicherweise anzieht, aber irgendwie erscheint es mir passend, die traditionelle Kleidung Orovalles zu tragen. General Luz-Manuel hat gesagt, ich würde mein Heimatland repräsentieren  – gut, dann werde ich das auch tun.
    Ximena flicht mir nur das Deckhaar zu einem Zopf,

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