Der Feuerstein
einem anderen Blut kündet. Ich frage mich, was Alejandro sieht, wenn er seinen Sohn betrachtet, ob er ihn als Schatten seiner selbst wahrnimmt oder als Erinnerung an jene Frau, die er liebte und verlor.
Eine Bewegung lässt mich den Kopf wenden. Nahe dem leeren Thron der Königin hat sich Condesa Ariña aus ihrem Knicks erhoben. Sie hält die Hände gegen die Brust gepresst und sieht dem kleinen Jungen mit so viel mütterlicher Sehnsucht entgegen, dass ich sie am liebsten schlagen würde.
Rosario hat fast das Podest erreicht, da streckt Alejandro die Arme aus. Wie der Blitz stürmt der Kleine nun die Stufen hinauf und wirft sich auf den Schoß des Königs. Ein amüsiertes Raunen geht durch den Saal, als die beiden sich umarmen. Alejandro erhebt sich, die Arme seines Jungen noch fest um den Hals, und verkündet: »Mein Sohn, Prinz Rosario de Vega, Thronerbe unserer großen Nation.«
Während die Menge in lauten Beifall ausbricht, versuche ich mich zu erinnern, ob Papá je so viel Aufhebens um mich gemacht hat oder zumindest um Alodia, die Erstgeborene. Falls ja, dann war ich noch zu klein, um mich daran zu erinnern. Vielleicht ist so viel Aufmerksamkeit aber auch nur Söhnen vorbehalten.
Alejandro stellt dem Jungen die Mitglieder des Quorums vor: General Luz-Manuel, Condesa Ariña, Lord Hector, Conde Eduardo. Dann bin ich an der Reihe. Alejandro balanciert den Jungen auf einem Knie, als er sich zu mir dreht. »Und das ist Prinzessin Elisa. Sie ist im Auftrag ihres Vaters
hier, König Hitzedar von Orovalle.« Eine schlichte Vorstellung für ein Kind.
Prinz Rosario sieht vom Schoß seines Vaters auf. So ein hübsches Gesicht mit sanften Zügen, großen Augen und Wimpern wie Spinnenbeinen. Er sieht mich an, macht noch rundere Augen und sagt dann mit heller Stimme, klar wie Klosterglocken: »Ihr seid aber fett.«
Überall im Saal wird scharf die Luft eingezogen, gefolgt von angespannter, schwerer Stille. Alejandros Gesicht erstarrt, und die Hand, mit der er die Schulter seines Sohnes umklammert, wird weiß. Wahrscheinlich können die versammelten Edelleute mein Herz schlagen hören und nehmen jeden meiner Atemzüge wahr. Kurz erwäge ich die Flucht, aber selbst jetzt, unter Schock, begreife ich, dass damit für mich alles nur noch schlimmer würde.
Also tue ich das Einzige, was mir übrig bleibt.
Ich lache. Ich lache, als sei es das Lustigste, was ich je gehört habe. Es klingt zu laut und zu gezwungen, aber nach einem kurzen Augenblick spielt das keine Rolle mehr, denn dann bricht der Damm des Schweigens, und die Menge stimmt erleichtert ein.
Die Sitzkissen sind für diesen Abend aus dem Speisesaal geräumt worden, denn heute sind so viele Gäste anwesend, dass alle stehen müssen. Die Höflinge schlendern durch die große Halle, picken kleine Portionen Pollo Pibil aus den geschwärzten Bananenblättern und trinken süßen Spätlesewein.
Zahlreiche Leute kommen auf mich zu, lächelnd und entspannt, um sich mit mir zu unterhalten und sich nach
meinem Befinden zu erkundigen. Vorher hat sich noch nie jemand für mich interessiert, und mir wird klar, dass die Barriere zwischen uns plötzlich verschwunden ist, niedergerissen von den Worten eines Kindes. Ich bin mir nicht sicher, ob ich darüber froh sein soll oder nicht.
Ich lasse mir gerade genüsslich das Hühnerfleisch schmecken und koste das Aroma von Kreuzkümmel und Knoblauch auf der Zunge aus, als Condesa Ariña zu mir tritt, ein Weinglas in der Hand.
»Hoheit.« Ihre Stimme ist so klar und hoch wie die von Rosario.
»Condesa.«
»Amüsiert Ihr Euch?«
Alejandros Höflinge wirbeln um uns herum. Am liebsten würde ich in mein Zimmer flüchten und mir die Decken über den Kopf ziehen. »Oh ja. Das Fest ist wunderbar. Prinz Rosario ist ein so charmantes Kind.«
»Das ist er wirklich.« Sie setzt das Glas an die rosa Lippen, tut aber nur so, als nähme sie einen Schluck. Ob sie jemals etwas zu sich nimmt?
»Und das Pollo Pibil ist natürlich hervorragend«, sage ich. »Alejandro hat gut gewählt. Ihr solltet es auch einmal versuchen.« Zufrieden registriere ich ihre fragend erhobene Augenbraue. Vielleicht hat sie gar keine Ahnung, was der König gern isst. Vielleicht mag sie es auch nicht, wenn ich auf so vertraute Weise von ihm spreche.
»Ich habe es vorhin bereits probiert. Es war köstlich.« Das glaube ich ihr natürlich nicht. »Wisst Ihr«, fährt sie fort, und dabei sieht sie mich mit ihren bemerkenswerten honigfarbenen Augen an, bis ich mich
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