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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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tupfen.
    Cosmé steht auf dem Balkon, als wir eintreten. Sie hat mein Lammfell über die Brüstung gehängt und klopft es mit einem Stock aus. Ohne sich zu uns umzudrehen, ruft sie: »Seine Majestät war hier, während Ihr unterwegs wart.«
    »Oh?« Ich möchte ihr nicht die Genugtuung verschaffen, an dieser Nachricht zu viel Interesse zu zeigen.
    »Er ersucht Euch, dem Empfang des Prinzen heute Abend beizuwohnen.«
    Ich weiß nichts von einem Empfang.
    Es ist seltsam. Ich bin nie gern auf Feste oder Bälle gegangen, nicht einmal auf der jährlichen Erlösungsfeier habe ich mich wohlgefühlt. Und trotzdem ärgert es mich, dass hier ein Fest geplant wurde, von dem ich nichts wusste. Ich fühle mich schrecklich ausgegrenzt und fehl am Platz. Mein undefinierter Status in diesem Land ist natürlich teilweise meine Schuld, das weiß ich. Wenn ich öfter mit Alejandros Hofstaat gegessen, wenn ich mich für die Palastgeschäfte interessiert hätte, dann lägen die Dinge vielleicht anders.
    Cosmé schiebt die Topfpalme beiseite, damit sie mehr Platz hat, den Teppich auszuschlagen. Bei dem Gedanken
an die Feuersteine, die in der weichen Erde versteckt sind, zucke ich leicht zusammen.
    »Wo wird die Festlichkeit stattfinden?«, frage ich, um sie von der Palme abzulenken.
    »Im Audienzsaal. Ihr sollt mit dem Quorum der Fünf auf dem Podium stehen. Ich werde Euch zeigen, wohin Ihr gehen müsst.«
    Das klingt beunruhigend danach, dass alle Augen auf mich gerichtet sein werden. »Danke, Cosmé.«
    »Hmpf.« Sie macht einen Knicks, ihr Gesicht unbewegt.
     
    Alejandros Audienzsaal ist grell und bunt geschmückt, eine lange, rechteckige Halle mit hoher, gewölbter Decke, die mit verschlungenen Rosen und übertrieben dargestellten Dornen bemalt ist. Kronleuchter reihen sich in einer geraden Linie vom Podium zur Doppeltür. Besonders wuchtig und pompös sind die Thronsitze mit ihren vergoldeten Rahmen, dem prallen Samt und den doppelt mannshohen Lehnen.
    Der König erhebt sich nicht, um mich zu begrüßen, aber er lächelt und küsst mir die Hand, was mich erröten lässt. Mit den anderen Mitgliedern des Quorums nehme ich meinen Platz auf dem Podium ein, schräg hinter Alejandros Thron, sodass ich über seinen dunklen Kopf hinweg die versammelten Edelleute sehen kann. Zunächst halte ich das noch für einen Ehrenplatz, bis ich sehe, wie Condesa Ariña ganz gelassen ihre Hand auf dem leeren Thron an seiner Seite ruhen lässt. Ihr Anspruch wirkt äußerst echt, mehr noch, berechtigt. Vielleicht, weil sie das einzig wirklich Schöne an diesem scheußlichen Ort ist, in ihrem ungeschnürten Kleid aus schlichtem elfenbeinfarbenem Stoff, der wie dünne Spinnweben
geschmeidig von dem Raffband unter ihren Brüsten herabfällt. Mit sanften, leuchtenden Augen sieht sie auf den König hinab, wie jemand, der nach dem Verzehr einer enorm großen Mangopastete angenehm schläfrig ist.
    Alejandro achtet nicht auf sie, sondern hält den Blick auf seine Untertanen gerichtet, die vor ihm durch den Saal eilen.
    Lord Hector steht wie eine hohe Säule neben mir. Sein sanfter Atem streicht über mein Ohr. »Als Prinzessin von Orovalle«, flüstert er, »müsst Ihr keinen Knicks machen, wenn Seine Hoheit eintritt.«
    Ich lächele ihn dankbar an.
    Erwartungsvolle Stille breitet sich über der Menge aus, und als sich die Anwesenden schließlich zu den hohen Flügeltüren umdrehen, ist es, als ob eine Welle durch die vielen Menschen schwappt. Die ersten Akkorde von Vieiras »Entrada Triunfal« erklingen, leise zunächst, dann schwillt der Klang der Vihuelas an, und die Türen schwingen auf.
    Eine Gruppe tritt ein, von hinten angestrahlt und auf diese Entfernung kaum genauer zu erkennen, und die Menge sinkt wie auf ein Zeichen in die Knie. Die Musik wird lauter, als die Abordnung näher kommt. Ein Junge führt sie an. Er ist klein und missvergnügt, und ganz offensichtlich interessieren ihn vor allem die bunten Quasten, die bei jedem Schritt seiner rot gefärbten Pantoffeln auf und ab wippen. Mühsam unterdrücke ich ein Kichern.
    Er geht in einer einigermaßen geraden Linie voran; von hinten wird er von einer dürren, verkniffen wirkenden Frau immer wieder in die richtige Richtung gestupst. Schließlich kommt er so nahe, dass ich seine Züge deutlich ausmachen
kann. Der kleine Rosario ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten; er hat dieselben Zimtaugen und dasselbe dunkle, lockige Haar. Aber da ist auch etwas Zartes um Kinn und Wangenpartie, das von

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