Der Feuerstein
sie von ihrer Reise zurückkehrte, erzählte sie begeistert von schimmernden Gebäuden und exotischen Menschen. Nun, da wir über den Händlermarkt südlich von Alejandros Palast irren, scheint mir ihr Bericht ziemlich übertrieben. Sicher schimmern die Fassaden der Häuser und Geschäfte, denn der größte Teil ist aus Sandstein erbaut und mit Lehmziegeln verziert. Aber sie werfen so lange, erdrückende Schatten, dass mir in ihrer Nähe das Atmen schwerfällt. Die Stadt wurde um eine Küstenoase herum gebaut, von der jedoch wenig zu sehen ist, als wir unterhalb des Palastes durch die Straßen gehen, ein gutes Stück vom Meer entfernt. Aber immerhin strahlt das Volk von Brisadulce tatsächlich eine einzigartige Lebendigkeit aus, trotz der trockenen Hitze und der staubigen Straßen. Das ist dem Kokosnussverkäufer anzusehen, der so tut, als wollte er seine Waren nach den herumflitzenden Kindern werfen, oder auch der Wäscherin, die fünf große Körbe von verschiedenen Kunden annimmt und verspricht, sie fertig gebügelt am nächsten Tag zurückzubringen. Es ist eine Stadt, in der die Menschen keine Angst
haben, Fremde auf der Straße zu grüßen, und bei jeder Gelegenheit lachen.
Es ist ein fast perfekter Nachmittag. Lord Hector ist erneut ein höchst angenehmer Begleiter, der bemerkenswert über Geschichte und verschiedene andere, erhellende Kleinigkeiten Bescheid weiß. Mit ihm könnte ich stundenlang durch die Stadt gehen, trotz meiner müden Beine.
Aber der kleine Rosario ist ein echter Teufelsbraten. Er rennt ständig hin und her und interessiert sich für alles, was er sieht, allerdings immer nur für die Dauer eines Wimpernschlags. Tatsächlich finden wir einen zusammengezimmerten Stand, an dem Kokostörtchen verkauft werden, aber nicht einmal das vermag seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Nach einigen Bissen reißt er sich los, um einem abgemagerten Vieh hinterherzulaufen, das der Abstammung nach ein Hund sein könnte, und der Rest des Törtchens ist vergessen und liegt als kleiner weißer Klumpen im Straßensand.
Sein Verhalten ist nicht nur anstrengend, es ist auch gefährlich. Zwar tragen wir einfache Kleidung, die keinen Hinweis auf unsere Person zulässt, aber wir können es trotzdem nicht riskieren, den Thronerben von Joya d’Arena durch seine eigene Leichtsinnigkeit zu verlieren. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie Alejandro reagieren würde, falls dem Jungen etwas passieren sollte.
Als Hector Rosario wild um sich schlagend aus einem Gässchen zieht, erkläre ich mit deutlichem Bedauern, dass wir unseren Ausflug leider vorzeitig abbrechen müssen. Der Prinz starrt mich böse an, aber ich bleibe hart.
Als ich jünger war, habe ich mir immer einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester gewünscht, jemanden,
um den ich mich genauso kümmern könnte wie Alodia sich um mich. Ich redete mir immer ein, dass ich eine gute große Schwester sein würde, ganz anders als sie. Aber jetzt frage ich mich, ob ich ihr vielleicht ebenso auf die Nerven gefallen bin wie dieser kleine Junge mir.
»Ich habe Durst«, erklärt Rosario, als ich ihn energisch bei der Hand nehme und fest entschlossen bin, ihn nicht wieder entwischen zu lassen.
»Wir können sicher irgendwo Wasser bekommen.«
»Ich will Kokosmilch.«
»Ich glaube nicht, dass das die richtige Art ist, mich anzusprechen.«
Er stößt zornig die Luft aus. »Kann ich vielleicht etwas Kokosmilch haben? Hoheit?«
Mir fällt wieder ein, was Ximena immer sagte, wenn ich nach Kuchen fragte. »Wenn du brav bist, dann werde ich dir selbst Kokosmilch holen. Wenn du nicht brav bist, gibt es keine Milch.« Ich könnte mir vorstellen, ihm für eine Schale Gesellschaft zu leisten. Der Küchenmeister rührt stets ein wenig Honig und Zimt hinein und stellt sie dann im Keller kalt, was überwältigend schmeckt.
Aber Rosario ist nicht brav. Zweimal reißt er sich von mir los, und ich danke Gott in einem Stoßgebet, dass es Lord Hector immer wieder gelingt, den Jungen einzufangen.
Dann endlich kehren wir durch einen Seiteneingang in den Palast zurück, und ich trete bewusst an Rosarios linke Seite, um mich wie ein körperliches Hindernis zwischen ihn und seine Milch zu schieben. Kaum dass der gewölbte Durchgang zur Küche in Sicht kommt, wird Rosario prompt langsamer, wenn auch nur ein bisschen.
Er versucht wieder, von mir loszukommen, aber ich verstärke meinen Griff.
»Milch!«
»Nein.«
»Kokosmilch!«
Nun gehe ich vor ihm in die Knie und schaue ihm direkt
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