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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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Mein Bewusstsein ist seltsam erfüllt von Hitze und Helligkeit, aber ich kann nicht sagen, ob ich wach bin oder träume. Vielleicht schwebe ich durch die bizarre Klarheit, die beides voneinander trennt.
    Dunkelheit gleitet über mich hinweg wie ein Vorhang und liegt herrlich kühl auf meinen Augenlidern. Ganz plötzlich hört die schaukelnde Bewegung auf. Ich höre Gemurmel. Allmählich kristallisieren sich Stimmen heraus: eine Frau, zwei Männer. »Wir müssen ihr bald etwas zu essen geben. Nein, ich weiß nicht, wann sie ihre letzte Mahlzeit hatte. Ja, du hast recht, erst einmal Wasser.« Mein Magen ist so leer, dass er wehtut, aber der Gedanke an etwas Essbares lässt Übelkeit in mir aufsteigen, zumal sich meine Kehle anfühlt, als wäre sie voll trockenem Schleim. Eine Hand streicht über meine Wange, groß und warm. Sanft.
    »Hast du Hunger, Prinzessin?« Eine junge, männliche Stimme. Sehr nahe. Sie verschluckt die Silben ein klein wenig und lässt sie dann im typischen Singsang des Wüstenvolkes nachfedern.

    Mit aller Kraft versuche ich, die Augen zu öffnen, aber irgendetwas hindert mich daran.
    »Oh, du Ärmste. Lass mich schnell …« Ein kühler, tropfnasser Lappen fährt weich über meine Lider. Jetzt merke ich, wie wahnsinnig durstig ich bin. Meine Augen öffnen sich blinzelnd.
    Erschrocken ziehe ich die Luft ein, denn sein Gesicht ist nur eine Handbreit von meinem entfernt. Als Erstes fallen mir die Augen auf, groß und schimmernd braun wie Brotnüsse. Dann das Haar, mehr, als ich je bei einem Jungen gesehen habe. Es ist in der Mitte gescheitelt und fällt in schwarzen Wellen bis über seine Schultern herab. Der Bartflaum ändert nichts an seinem jungenhaften Aussehen. Er hat ein angenehmes, freundliches Gesicht.
    Dennoch, er ist mein Entführer. »Was willst du?« Meine Zunge bewegt sich geschwollen in meinem Mund wie ein trockenes Kissen, und meine Worte klingen erstickt und schwerfällig.
    »Wir wollen dich, Prinzessin.« Er steht auf und tritt aus meinem Blickfeld, und stattdessen sehe ich nun auf ein Überdach aus einem seltsamen Stoff, der von mehreren Holzstangen gespannt wird und so dick wie Wolle zu sein scheint, dabei aber scheckig und rau aussieht wie unfertiges Pergament.
    Der Junge kehrt mit einer hölzernen Trinkschale zurück. Er fasst unter meine Schultern und hebt meinen Oberkörper mit einer breiten Hand leicht an. Mit der anderen führt er die Schale an meine Lippen.
    »Trink. Wenn du das gut verträgst, dann versuchen wir es mit ein wenig Essen.« Das Wasser ist warm und schmeckt bitter, aber ich schlucke trotzdem gierig. Die Schale wird viel
zu schnell leer, dann lässt er mich zurücksinken. »Jetzt warten wir ein bisschen.«
    »Wer seid ihr?«, frage ich jetzt mit etwas kräftigerer Stimme, in der allerdings Angst mitschwingt. Ich hoffe, dass Ximena nichts passiert ist. Und ich hoffe, dass Alejandro nach mir sucht.
    Mein Entführer lächelt schüchtern, und seine Zähne wirken im Gegensatz zu seiner dunklen Wüstenhaut fast erschreckend weiß. »Ich heiße Humberto«, sagt er. »Karawanenführer von Beruf.«
    Ich versuche, mich ein wenig auf die Seite zu drehen, damit ich ihn besser sehen kann, aber mein Körper ist noch steif und unbeweglich, und meine Hüften gehorchen mir nicht. »Humberto. Wieso kann ich mich nicht bewegen?«
    »Oh, das liegt am Duermakraut. Du hast ziemlich viel davon eingeatmet. Das geht nach ein oder zwei Tagen weg.«
    Ein oder zwei Tage? »Wie lange bin ich … Wie lange ist es her, dass ihr mich entführt habt?« Mit Befriedigung stelle ich fest, dass er bei diesem Wort unangenehm berührt das Gesicht verzieht. Sein Lächeln erlischt.
    »Schon eine Weile, Prinzessin. Lange genug.«
    »Der König wird mich finden.«
    »Er wird dich suchen«, verbessert er feierlich und wechselt dann das Thema. »Du hast schöne Augen. Sehr hübsch.«
    Schnell mache ich diese Augen wieder zu, doch trotzdem rinnen Tränen über meine Wangen.
    »Oh, Prinzessin, das tut mir leid! Ich hoffe, ich habe nichts gesagt, was dich … Und du wirst gut behandelt werden, das schwöre ich!«
    Ich öffne die Augen wieder. Die Besorgnis in seinem
Gesicht ist deutlich zu erkennen, auch wenn die Tränen meinen Blick verschleiern. »Was wollt ihr? Wieso habt ihr mich verschleppt?«
    Er rutscht unbehaglich hin und her. »Darüber reden wir später. Hast du schon Hunger?«
    »Ein bisschen.«
    »Großartig!« Er springt auf. »Ich bin gleich wieder da.«
    Und so bleibe ich allein zurück,

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