Der Feuerstein
Humberto. Diese hier sind mit steifen Sohlen versehen und kniehoch, und es gehören Beinschützer aus Kamelhaar dazu, die mehrere Male um die Wade gewickelt werden. Humberto zeigt mir, wie ich die Enden in den Kniekehlen unter den übrigen Stoff schieben kann, um sie dann mit Schnüren zuzubinden. »In dieser Jahreszeit gibt es häufig Sandstürme«, sagt er. »Und der Sandflug ist direkt über dem Boden am stärksten. Ich weiß, sie sind sehr warm, aber sie werden deine Beine schützen.«
Sandstürme. Ich erinnere mich, dass Hector mir davon erzählt hat, als wir von einem sicheren Platz aus zu den weit entfernten Dünen blickten. Damals sagte er, dass sie einem Menschen das Fleisch von den Knochen reißen können.
Weshalb sind diese Leute so verzweifelt, dass sie es sogar riskieren, in der Sandsturmzeit durch die Wüste zu ziehen?
Wir lassen die Packpferde bei einem der jungen Männer zurück und gehen los, während zwei Kamele unsere Zelte, das Essen und das Wasser tragen. Ich blicke dem Mann nach, der in die entgegengesetzte Richtung davonreitet. Es gibt einen Weg aus dieser Wüste – für jene, die ihn kennen.
»Er wird zurechtkommen«, sagt Humberto. »Er ist ein Karawanenführer, genau wie ich.«
»Wieso können wir nicht auf Pferden reiten?« Pferde haben mir zwar immer Angst gemacht, aber Reiten wäre trotzdem angenehmer, als sich mühsam zu Fuß durch den Sand zu schleppen.
Er erstickt beinahe. »Oh, Prinzessin. Pferde brauchen viel
zu viel Wasser, um in der Wüste zu überleben. Wir haben sie bis hierher mitgenommen, damit wir dich schnell wegbringen konnten. Aber ab hier müssen die Kamele genügen. Bis zur nächsten Wasserstelle sind es viele Tage.«
Mein Magen überschlägt sich. Zwar habe ich mich heute Morgen von der Hoffnung verabschiedet, aus eigener Kraft fliehen zu können, aber ich hatte mich trotzdem an den Gedanken geklammert, Alejandro würde mich retten. Sicher durchkämmt er bereits den ganzen Palast auf der Suche nach seiner verschwundenen Frau. Vielleicht hat er sogar Kundschafter in die Wüste ausgesandt. Aber je weiter wir schon weg sind, desto schwerer wird es sein, mich aufzuspüren.
»Wohin bringt ihr mich?«
»Weit weg, Prinzessin.« Er hebt die Hand, um weitere Fragen abzuwehren. »Lass es. Ich werde es dir nicht sagen. Jedenfalls noch nicht.«
»Ich bin nicht … ich meine, ich hatte nie besonders viel Durchhaltevermögen. Ich werde so weit laufen, wie ich kann, aber…«
»Oh, das habe ich mir schon gedacht.« Er grinst auf seine typische Art, die ihm stets den Anschein verleiht, als wollte er jeden Moment loslachen. »Wir haben dich mit einer Schleiftrage bis hierhergebracht. Oder hast du gedacht, wir hätten dich den ganzen Weg getragen?«
Nein, natürlich nicht. Der stärkste Mann der Welt könnte mich nicht über eine längere Strecke tragen.
»Ich meine«, fährt er fort, »du kannst die Schleiftrage benutzen, wenn es nicht anders geht, aber vielleicht könntest du zumindest versuchen, eine Weile zu gehen? Für die Kamele ist es sonst sehr anstrengend. Dann brauchen sie mehr
Futter und Wasser, weißt du, und meine Schwester …« Er verstummt.
Was er wohl sagen wollte? Meine Schwester sucht ohnehin nur nach einer Entschuldigung, um dich umzubringen? »Ich werde mein Bestes versuchen.«
Er nickt. »Das weiß ich.«
Durch den Wüstensand zu marschieren ist das Schwerste, was ich je in meinem Leben leisten musste. Schon nach kurzer Zeit brennen meine Knöchel und Wadenbeine vor Anstrengung, mein Atem kommt in trockenen Stößen, und Schweiß durchtränkt meine unterste Kleidungsschicht. Aber ich schleppe mich weiter voran, und beinahe seufze ich jedes Mal vor Erleichterung, wenn unser kleines Grüppchen die Kuppe einer Düne erreicht. Dennoch dauert es nicht lange, und ich falle hinter den anderen zurück.
Es beruhigt mich sehr, dass man offenbar viel Sorgfalt auf meine Kleidung verwandt hat. Meine Entführer wollen, dass ich heil ankomme, wo auch immer das sein mag. Es würde den sicheren Tod bedeuten, in dieser Wüste zurückgelassen zu werden. Cosmé sieht von Zeit zu Zeit über die Schulter, als erwarte sie jeden Augenblick, dass ich aufgegeben habe oder im Sand zusammengebrochen bin, und jedes Mal, wenn sie das tut, flackert ein Feuer in meinem Inneren auf, und ich setze in grimmiger Auflehnung einen Fuß vor den anderen.
Während ich durch den Sand stapfe, habe ich viel Zeit darüber nachzudenken, weshalb man mich entführt hat. Mit mir haben sie
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