Der Feuerstein
weil ich den Feuerstein trage?«
Ihre Hände streichen über meine Oberarme. »Oh, da gibt es viele Gründe. Weil du ein politisches Symbol darstellst, selbst für jene, die nicht an die Macht Gottes glauben. Weil manche Menschen aus religiösem Eifer seltsame Dinge tun.«
Wie sie ja wohl aus eigener Erfahrung weiß.
»Und um ganz ehrlich zu sein, weil dein makelloser Stein, wenn man ihn aus deinem toten Körper risse, auf dem Schwarzmarkt zu einem unglaublichen Preis gehandelt werden würde.«
Erschrocken zucke ich zusammen, wobei mich ihre Offenheit ebenso schockiert wie die geschmacklose Vorstellung, der Feuerstein könnte als schlichtes Handelsgut betrachtet werden.
»Oh, mein Himmel, ich habe dir niemals solche Angst machen wollen, aber du siehst jetzt ein, wieso du vorsichtig sein musst, oder? Bitte sag mir, dass du das verstehst.«
»Ja«, stoße ich erstickt hervor.
Es dauert lange, bis ich mich dazu durchringen kann, die Kerzen zu löschen und die Augen zu schließen.
Ich weiß nicht, was genau mich eigentlich geweckt hat. Ximena hat die Tür zum Balkon auf meine Bitte hin offen gelassen, und eine leichte Brise bläht die Vorhänge. Doch von ihrem sanften Rascheln würde ich normalerweise nicht aufwachen. Es ist recht dunkel, die Nacht ist mondlos. Der kupferne Schimmer einer Stadt, die nie ganz zu schlafen scheint, dringt in meine Gemächer, und ich kann gerade eben die Umrisse meines Nachttisches und der Bettpfosten ausmachen.
Zimtgeruch dringt an meine Nase, würzig und süß. Er ist so stark, dass meine Nase kribbelt. Im Dämmerlicht kann ich die Gegenwart eines Menschen erahnen, den ich erst für Ximena halte, bis ein grober Lappen auf meinen Mund gepresst wird. Ich versuche, den Kopf zur Seite zu drehen, aber der Druck gegen mein Gesicht verstärkt sich bei meiner Bewegung
nur. Genau davor hat mich Ximena gewarnt, davor haben sie alle Angst gehabt. Ich muss unbedingt schreien und meine Kinderfrau alarmieren.
»Unnnng!«, bringe ich irgendwie durch die Nase heraus. Dieser dumpfe Laut kostet mich alle Luft, die in meinen Lungen ist, und mein Herzschlag füllt den leeren Raum. Tränen rinnen mir aus den Augenwinkeln, und der Drang, Luft zu holen, macht mich ganz benommen. Schließlich atme ich durch den Lappen, trotz der Hand, die ihn festhält. Zunächst überwältigt mich ein Gefühl des Sieges, denn zumindest wird es so nicht gelingen, mich zu ersticken. Wenn ich vielleicht gegen die Bettpfosten treten oder mich herumwälzen könnte … aber der Zimtgeruch verwandelt sich in ein seltsames Prickeln in meinem Hals, in meiner Brust. Um mich herum dreht sich alles, und ich sinke tiefer und tiefer in die Matratze. Dann schließt mich etwas ein, etwas Dunkleres als reine Finsternis, heißer als der Wüstensommer. Das kupferne Schimmern vom Balkon verlischt.
Sanft schaukele ich von einer Seite zur anderen. Meine Arme liegen eng an meinem Körper, ich bin eingewickelt wie ein Säugling. Oder vielleicht liege ich auch in einem Sarg. Meine Augenlider zucken, aber sie sind verklebt und verkrustet, ich kann sie nicht öffnen. Nach kurzer Zeit versuche ich es auch gar nicht mehr, denn ich habe das Gefühl, das gleißende Licht dahinter ist ohnehin unerträglich grell. Zwar habe ich mir immer vorgestellt, die Welt nach dem Tod sei hell und strahlend. Aber nicht so heiß wie die Wüste. Und auch ohne diesen Geschmack von verdorbenem Fleisch in meinem Mund.
Ich höre jemanden reden. Locker, lässig, alltäglich. Es geht um eine mögliche Rast, um Wasservorräte, und dann macht jemand einen Witz über Kamele, den ich nicht verstehe, der aber viel Gelächter hervorruft. Eine der Stimmen ist weiblich und vertraut. Ich kann sie nicht zuordnen, aber ein vages Gefühl des Wiedererkennens lässt mich die Zähne zusammenbeißen.
»Die Prinzessin wird bald aufwachen«, sagt jemand.
»Das kann uns egal sein, wir sind schon weit genug weg«, antwortet die vertraute Stimme.
Ich versuche mich zu winden, zu rufen oder zu treten, aber mein Körper gehorcht mir nicht. Verzweiflung breitet sich in meinen Lungen aus, heiß und zäh. Ihr könnt mich nicht wegschleppen, schluchze ich irgendwo tief in dem reglosen Kadaver, der mein Körper ist. Das könnt ihr nicht machen! Alejandro will mich endlich heiraten!
Nun ist von einer Oase die Rede, und wieder wird gelacht. Es klingt fröhlich, aufgekratzt, und ein Hauch von Triumph schwingt darin mit.
Zweiter Teil
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I ch weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist.
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