Der Feuerstein
nicht mehr ganz so schwierig, wenn auch immer noch nicht leicht, und in den folgenden Tagen fange ich zunehmend an, auf dem Weg mit den anderen zu reden. Jacián bleibt zwar schweigsam, aber Humberto und Belén sind gern bereit, mich mit kleinen Geschichten von dramatischen Kamelrennen und dummen Reisenden zu unterhalten. Wie ich erfahre, hat jeder meiner Begleiter die Wüste schon mehrere Male durchquert, obwohl sie eigentlich zu jung sind, um schon so viel gereist zu sein. Jacián ist mit seinen neunzehn Jahren der Älteste, Humberto hingegen der Jüngste; er ist sechzehn, genau wie ich.
Gelegentlich beteiligt sich sogar Cosmé an unserem Gespräch, obwohl sie sich stets sehr zurücknimmt. Es gibt so vieles, was ich gern wissen möchte, über den Feuerstein, über die Prophezeiung, von der sie sprach, über ihre Arbeit bei Condesa Ariña. Aber ich traue mich nicht zu fragen. Dass
sie am liebsten den Stein aus meinem Bauch reißen würde, ist mir stets im Gedächtnis, und von daher gebe ich mir alle Mühe, jegliche Provokation zu vermeiden.
Weil die Nachmittagssonne mir den Rücken wärmt, weiß ich, dass wir nach Osten wandern, in jene Richtung, in der sich die entlegenen Bergdörfer befinden, wo sich aber auch das Heer von Invierne zusammenzieht. Doch unsere kleine Gruppe ist mit nichts besser zum Schweigen zu bringen als mit einer Frage nach unserem Ziel. Als ich es das dritte Mal versuche, erwidert Humberto: »Es ist ein geheimer Ort, Prinzessin, und mehr als das wirst du nicht erfahren.«
Schließlich kommen wir vom Plateau in ein steiniges, ödes Land, wo lediglich niedrige Büsche und vereinzelte Kakteen wachsen. Die Kamele grasen auf dem Weg und fressen das trockene Gras mit derselben Begeisterung wie die harten Dornen. Der Ruf der Geier über uns stimmt mich direkt fröhlich. Und überall lauern kleine Eidechsen mit starrem Blick, die so träge oder so mutig sind, dass sie immer erst im allerletzten Augenblick vom Pfad huschen.
Der Aufstieg wird steiler, der Weg ist immer öfter von aufklaffenden Spalten durchzogen, und immer wieder ragen unversehens einzelne, schroffe Tafelberge in schwindelerregende Höhen auf. Wahrscheinlich könnte ich ein Leben lang durch diese Wüste irren, ohne je wieder den Weg zurück zu finden. Ich hoffe nur, dass ich an unserem geheimen Ziel eine Möglichkeit finden werde, meinem Ehemann eine Nachricht zukommen zu lassen.
Am Ende unserer langen Reise, die uns beinahe einen Monat lang durch heißes Land geführt hat, umrunden wir einen steilen Tafelberg, dessen Gestein aus vielen gelben und
orangefarbenen Schichten besteht. Auf der dem Wind abgewandten Seite drängt sich ein Dorf auf mehreren terrassenförmigen Ebenen an den Steilhang, durch die orangefarbenen Lehmziegel, aus denen die Häuser gebaut sind, so gut getarnt, dass es aus der Entfernung beinahe unsichtbar ist. Überall sind Leute unterwegs und winken uns zu, als wir näher kommen.
Mein Herz klopft, meine Kehle ist wie zugeschnürt. Es wird nun nicht mehr lange dauern, bis sie entdecken werden, dass sie sich in mir geirrt haben und dass ich ihnen überhaupt nicht helfen kann.
Cosmé läuft voran, um einen alten Mann zu begrüßen, der uns entgegenstapft. Er trägt dieselben großzügig geschnittenen Wüstenkleider wie meine Begleiter, weswegen ich nicht gleich erkenne, dass ein Ärmel schlaff und leer an seiner Seite hängt. Andere Dorfbewohner kommen ebenfalls heran. Sie sind zerlumpt. Verwundet. Einige Gesichter sind von Brandwunden gezeichnet, aufgeworfen wie die Windseite einer Sanddüne. Anderen, wie dem Mann, der Cosmé nun an sich drückt, fehlen Arme oder Beine. Ein kleiner Junge, nicht viel älter als Rosario, hat sich einen Bausch Wolle in eine Augenhöhle gestopft und einen dreckigen Stoffstreifen darüber gebunden.
Die meisten sind Kinder.
Ich denke zurück, an ein anderes Leben, an die Sitzung des Quorums der Fünf. An die Nachricht von Conde Treviño, der zwar um Hilfe bat, jedoch erklärte, es habe noch keine Verluste gegeben. Vielleicht dringen die Neuigkeiten aus diesem Teil des Landes nicht so schnell bis in andere Gebiete.
»Oh, Humberto«, flüstere ich erschüttert. »Wir haben nicht gewusst … Ich habe nicht gewusst, dass der Krieg schon begonnen hat.« Schnell wandern meine Fingerspitzen zu dem Feuerstein und beten um den warmen Trost des Juwels.
Humberto legt mir sanft den Zeigefinger unters Kinn und hebt meinen Kopf. Der hoffnungslose Blick in seinen Augen macht mir Angst.
Weitere Kostenlose Bücher