Der Feuerstein
»Prinzessin, der Krieg mit Invierne hat nie aufgehört.«
15
I ch verstehe das nicht. Der letzte Krieg war eigentlich nur ein Scharmützel, keine große Sache. Er endete nach nur zwei Jahren, nachdem Alejandros Vater die Heere von Invierne hoch in die Sierra Sangre zurücktrieb.
Der ältere Mann entlässt Cosmé aus seiner einarmigen Umklammerung und humpelt mit geweiteten Augen auf mich zu.
»Cosmé«, flüstert er. »Du hast mir die Auserwählte gebracht.«
Sie schnaubt. »Sie trägt den Feuerstein, das ist aber auch schon alles.«
Er überhört ihre Worte, seine schwarzen Augen auf meinen Bauch gerichtet. »Er singt zu mir«, raunt er. »Sie haben gesagt, dass es genau so sein würde, falls ich es je erlebte, aber ich habe es nicht geglaubt.«
»Wer?«, fragte ich. »Wer hat das gesagt?« Vater Nicandro hat den Stein auch gespürt, aber ich hatte keine Möglichkeit, ihn danach zu fragen.
»Die Priester natürlich. Im Seminar.« Ein Zucken läuft unter dem kurzen grauen Bart über sein Gesicht.
Humberto tritt vor. »Prinzessin, das ist mein Onkel, Vater Alentín, der früher zu Conde Treviños Hof gehörte.«
»Ihr seid ein Priester?« Einen Priester wie ihn habe ich noch nie gesehen, so heruntergekommen, dreckig und verstümmelt.
Er blinzelt. »Es tut mir leid, mein Kind. Oder … sollte ich Prinzessin sagen? Es ist nicht gerade ein freundliches Willkommen, das ich Euch hier zuteilwerden lasse, nicht wahr? Es ist nur so, ich hatte nie erwartet, dass ich … ich meine … ja, ein Priester. Ordiniert im Kloster zu Brisadulce, und …« Er legt einen zitternden Finger an seine Lippen, während er die Augen schließt. »Ich kann nicht glauben, dass wir endlich den Träger gefunden haben.«
Der Feuerstein in mir ist still und sendet weder warnende noch beruhigende Signale aus, aber die verzweifelte Hoffnung des Mannes macht mich nervös. Hinter ihm nähern sich zerlumpte Kinder, die mich mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Misstrauen betrachten. Am liebsten würde ich mich hinter Humberto verstecken, aber ich bleibe, wo ich bin.
Humberto legt mir einen schützenden Arm um die Schultern und sagt: »Wir haben eine lange Reise hinter uns und nun brauchen wir dringend ein Bad und etwas zu essen. Vielleicht ein bisschen frisches Fleisch. Obst wäre auch schön. Alles, nur nichts Getrocknetes.«
Bei seinen Worten läuft mir das Wasser im Mund zusammen, und ich lehne mich dankbar an ihn.
Die Kinder umringen uns und führen uns zu den in die Bergwand hineingebauten Ziegelhäusern. Nicht einmal Erschöpfung und Durst können meine Aufmerksamkeit trüben,
denn schließlich weiß ich, dass unter den vielen Menschen um mich herum Leute wie Cosmé sind – Leute, die mich mit raubtierhaftem Hunger beobachten, als sei ich ein saftiges, mit Pfeffersauce übergossenes Spanferkel.
Die Gebäude sind nur die Fassade für ein kühles Höhlensystem, das tief in den Tafelberg hineinführt. Frische Quellen sorgen für Trinkwasser, und es gibt sogar ein breites, flaches Becken, das zum Baden und Waschen genutzt wird. Cosmé zeigt mir eine Stelle, wo ich mich unbeobachtet ausziehen und säubern kann, eine kleine Nische, hinter der sich eine Bank aus Fels erhebt, auf der meine Kleidung Platz findet. Sie wirft mir ein dreckverkrustetes Gewächs von zwiebelartiger Form zu, das aus mehreren Schichten zu bestehen scheint, und sie erklärt, dass es Schaum entwickelt, wenn ich es über meine Haut reibe. Das Wasser ist kalt und reicht mir halb den Oberschenkel hinauf, aber es ist kristallklar, und meine Zehen, die sich in den Sand graben, erscheinen plötzlich viel näher, als ob ich sie anfassen könnte, ohne mich zu bücken.
Als ich allein bin, versuche ich, mich daran zu erinnern, wie Aneaxi und später Ximena meine Kleider gewaschen haben. Normalerweise wurde das von Dienstboten erledigt, und meine Zofen übernahmen diese Aufgabe nur selten. Aber da war etwas mit Einweichen und Rubbeln, ein bisschen Seife. Da ich nicht genau weiß, wie viel Zeit ich habe, steige ich schnell aus meinen Kleidern und tauche sie ins Wasser. Nach einigem Wringen und Spülen reibe ich das zwiebelartige Gewächs über den Stoff und erzeuge tatsächlich ein wenig Schaum. Es riecht scharf nach zerdrückten Blättern, aber es scheint zu funktionieren, denn Schmutz, fettiger Schweiß
und ein paar verirrte Haare treiben schnell in der Strömung davon. Ich wasche auch das Nachthemd aus, das ich getragen habe, als Cosmé und die anderen mich aus
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