Der Feuerstein
sie später immer noch töten, falls sich herausstellt, dass sie wirklich zu nichts nütze ist.«
Humbertos Augen verengen sich, und er funkelt den Jungen an: »Niemand tötet sie, Jacián. Niemals.«
Jacián zuckt mit den Schultern und verfällt wieder in Schweigen.
In dieser Nacht kommt Humberto still in mein Zelt und breitet seine Decken neben meinen aus. Ich bin erleichtert
über seine Gegenwart, denn ich weiß, wieso er hier ist. Er hat Angst vor dem, was die anderen tun könnten.
Die Tage sind endlos und heiß, aber ich nutze die Zeit zum Nachdenken. Dabei habe ich beschlossen, mich kooperativ zu zeigen und alles zu tun, um nicht bedrohlich zu wirken, denn immerhin hängt mein Überleben davon ab, bei meinen Entführern zu bleiben und ihnen keinen Grund zu geben, mich doch noch umzubringen.
Schließlich lassen wir die Dünen hinter uns und erreichen ein niedriges Plateau. Der Sand rutscht nicht länger unter meinen Füßen weg, und es gelingt mir einigermaßen, mit den anderen Schritt zu halten. Humberto übernimmt die Führung, und er zweifelt nie auch nur einen Augenblick an unserer Richtung, auch wenn mir nicht klar ist, wie er das macht. Unsere Wasservorräte gehen allmählich zur Neige, und die Rationen werden immer kleiner. Meine Haut sehnt sich nach dem kühlen Wasser meines Badebeckens. Nein, das stimmt nicht. Das Wasser in dem Becken war immer warm. Jetzt aber stelle ich es mir kühl vor, und ich kann es beinahe fühlen, ebenso wie Ximenas starke Finger, die meine Schultern massieren.
Meine Lippen sind schmerzhaft gesprungen. Die hoch aufragenden Höcker der Kamele schrumpfen allmählich und neigen sich schließlich zur Seite. Humberto versichert mir, das sei zu erwarten gewesen, und sie würden sich erholen, sobald sie wieder Wasser und Futter bekommen, aber sie tun mir trotzdem leid. Nach einer Weile allerdings ist mein Kopf nur noch von quälenden Gedanken an frisches Wasser erfüllt.
Nach mehreren Tagen, die wir über das Plateau gezogen sind, führt Humberto uns in eine tiefe Schlucht. Die Kamele schnauben und stöhnen, werfen die Knie schlenkernd hoch und lassen die Köpfe hin und her schaukeln, als wir zwischen den hohen, steilen Felswänden weitergehen. Dann biegen wir um eine Ecke, und die Schlucht verbreitert sich zu einer Oase mit niedrigen Palmen und gelb belaubten Akazien, mit grünem Gras und einem kleinen, funkelnd blauen See. Etwas Schöneres habe ich noch nie gesehen.
Wir alle fangen an zu laufen, fünf Menschen und zwei Kamele, wir rennen in den See und bleiben erst stehen, als uns das Wasser bis zur Hüfte reicht. »Trink nicht zu viel auf einmal!« , ruft mir Humberto zu. »Sonst wirst du krank!« Also nehme ich nur ein paar große Schlucke, dann tauche ich unter, bis das Wasser meinen Kopf bedeckt, und genieße die Kühle und die herrliche Nässe. Als ich wieder an die Oberfläche komme, bespritzen sich die anderen gegenseitig wie die Kinder. Humberto macht mit seiner großen Hand Wellen und schickt eine in meine Richtung, und ohne nachzudenken lache und plansche ich mit. Ich tue so, als würde ich sie schon seit einer Ewigkeit kennen. Als wäre ich in Sicherheit.
Viel später hängen unsere Oberkleider an den Zweigen einer großen Akazie, die ihre Äste über den kleinen See streckt. Unsere Zelte sind aufgebaut, die Kamele fressen in aller Ruhe das weizenähnliche Gras, das auf dem gegenüberliegenden Ufer wächst. Ich lasse die nackten Beine ins Wasser hängen und bewundere die frischen Schwielen an meinen Füßen. Irgendwie bin ich stolz auf sie.
Humberto lässt sich neben mich fallen und breitet sein Kopftuch zwischen uns aus. Darin befindet sich eine Handvoll
frischer Datteln, die er in einem nahen Hain voll niedriger Palmen gesammelt hat. Ich gebe einen entzückten Laut von mir und stecke mir eine Frucht in den Mund. Sie ist süßer als Honig, süßer als die Kokostörtchen der Straßenverkäufer. Oder vielleicht kommt es einem nach einer langen Diät aus Dörrfleisch und Jerboa-Suppe auch nur so vor. Genussvoll spucke ich den Kern aus und beiße in die nächste. »Danke, vielen Dank!«, bringe ich mit vollem Mund heraus.
Humberto sieht mich an, während ich kaue, und sein Blick verrät Neugier, aber vielleicht auch Respekt. Jedenfalls bringt er mich nicht so aus dem Konzept wie Alejandro mit seinen fordernden Augen.
Zwei wundervolle Tage verbringen wir an diesem Ort, bevor wir weiterziehen, ausgeruht, ausreichend gewässert und gekühlt. Das Laufen ist nun
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