Der Feuerstein
den Kopfschmerz hindurch, blicke ich in Humbertos Gesicht.
Der Feuerstein schickt eisige Strahlen mein Rückgrat hinauf und in meine Brust.
»Du musst dich beeilen«, ruft Humberto in den Wind. »Sandsturm.«
Oh Gott.
»Die anderen bauen da vorn die Zelte auf. Kannst du laufen?«
Ich nicke, obwohl ich nicht weiß, wie meine Beine das anstellen wollen.
Er legt mir den Arm um die Schultern, und zusammen hasten wir über den Sand. Humberto ist sehr stark und zieht mich mit, sodass ich doch wesentlich schneller vorankomme als allein, und er reißt mich jedes Mal wieder hoch, wenn ich über meine Füße stolpere. Sandwirbel peitschen um unsere Beine. Humbertos Angst ist deutlich spürbar. Er zerrt unaufhörlich an mir und ruft: »Schneller, Prinzessin. Wir müssen schneller laufen!« Und so stapfe ich so schnell wie möglich weiter und atme keuchend durch mein Tuch, während mein Herz mir wie eine Trommel bis zum Hals schlägt.
Dann endlich erreichen wir eine Kuppe. Nicht weit davon entfernt haben sich die beiden Kamele wie große Berge nebeneinander auf den Sand gelegt. Cosmé errichtet mit hastigen Bewegungen eine Art Zelt um die Tiere, um sie zu schützen, während diese ruckartig die Köpfe hin und her bewegen und schnaufen.
Neben ihnen steht ein zweites Zelt. Der Mann mit der Hakennase winkt uns aus der Öffnung heran und drängt zur Eile.
Aber meine Beine sind wie festgewachsen im Sand, hart und steif wie steinerne Säulen, denn in einiger Entfernung hat sich eine dunkle Wand erhoben, die auf uns zurast. Sie tobt schwarz über den Boden und wirbelt den Sand so hoch auf, dass der Himmel eine fast bräunliche Farbe annimmt.
»Prinzessin!« Humberto reißt mich voran, aber meine Beine sind wie gelähmt, und er muss mich fast bis zum Zelt schleifen. Das Heulen des Sturms ist unerträglich laut. Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir so etwas überleben wollen. Unsere Zelte sehen so unbedeutend und zerbrechlich aus, und ich weiß, dass ich hier sterben werde, dass mir das Fleisch von den Knochen geschliffen und der Feuerstein, in einem Berg aus Sand vergraben, untergehen wird.
Wir flüchten uns mit einem langen Satz ins Zelt. Cosmé stürzt hinter uns herein, zieht die Zelttür zu und bindet sie fest. Während ich allmählich wieder zu Atem komme, beobachte ich meine Entführer, und ihre weit aufgerissenen Augen ängstigen mich. Die Kamele stoßen klagende Laute aus.
»Die Kamele?«, frage ich erschüttert. Es sind seltsame Geschöpfe, aber mit ihren langen, dichten Wimpern und dem Dauerlächeln auf den breiten Lippen machen sie mir weniger Angst als Pferde. Der Gedanke, dass ihnen der Sandsturm das Fell abzieht, ist mir unerträglich. »Werden sie …«
»Sie sind für das Leben in der Wüste besser ausgestattet als wir«, sagt Cosmé. »Sie wissen, dass sie sich hinlegen müssen, solange der Sturm tobt. Sie werden es überstehen.« Dann zuckt sie mit den Schultern. »Jedenfalls wenn sie nicht zu lange verschüttet bleiben.«
Wie bitte? Humberto bindet mir ein Seil um den Bauch. »Verschüttet?«, flüstere ich.
Humberto beugt sich zu mir hinunter. »Prinzessin, falls das Zelt zusammenbricht, dann versuche, dich in ein Stück Zeltstoff einzuwickeln.« Er schlingt sich ein Stück des Seils um die eigene Taille und wirft dann Cosmé die Rolle zu, damit sie es ihm gleichtut. »Sieh zu, dass du dir eine kleine Höhle zum Atmen schaffen kannst, pass auf, so.« Er zeigt es mir mit einer Decke, die er halb um seinen Kopf und Unterarm schlingt.
Er sieht nicht mehr, dass ich zu seinen Worten nicke, denn plötzlich wird es in unserem Zelt dunkler als in der finstersten Nacht. Der Sandsturm tobt über uns hinweg. Nun kann ich die Kamele nicht mehr hören, auch nicht das Flattern der Zeltleinwand draußen, nicht einmal mehr das Atmen meiner Begleiter. Wäre da nicht das Seil, das uns miteinander verbindet, es wäre ein Leichtes, mir vorzustellen, ich sei völlig allein. Das zornige Toben des Sandes ist so überwältigend und unaufhörlich, so klar und rein, dass es beinahe genauso eigentümlich absolut wirkt wie Stille. Eine lange Zeit sitze ich da und fühle, wie sich mein Herzschlag verlangsamt und meine Atmung beruhigt.
Mit einem Mal umfängt uns dann tatsächlich Stille. Echte Stille, als sei die ganze Welt tot.
»Ist es vorbei?«, frage ich und erschrecke über den Klang meiner eigenen, seltsamen Stimme.
»Psst.« Das ist Cosmé. »Verschwende keine Atemluft mit deinem Gerede.«
Atemluft verschwenden?
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