Der Feuerstein
unten, sie marschieren in einer langen Kolonne heran, mindestens drei Mann nebeneinander. Was würden sie tun, wenn sie uns entdeckten? Würden sie uns sofort töten? Ich habe noch nie von Gefangenen gehört. Was, wenn ein Animagus bei ihnen ist? Er könnte die kleine Baumgruppe, in der wir uns verbergen, sofort zu Asche verbrennen.
Zumindest ist der Fluchtweg nach oben unversperrt; wir könnten im Notfall den Hang weiter hinaufklettern. Wir warten und warten, während sich der Staub der Vorbeimarschierenden allmählich wieder legt. Dann hebt Cosmé einen
Finger an die Lippen und bedeutet uns, still zu verharren. Sie selbst kriecht verblüffend leise und verstohlen aus unserem Versteck unter den Bäumen. Meine Beine zittern von der Anstrengung, bewegungslos auf dem Abhang auszuharren, und Schweiß rinnt mir von den Schläfen, während wir auf ihr Zeichen warten.
Kurze Zeit später kehrt sie zurück. »Sie ziehen nach Westen«, flüstert sie atemlos. »Sie scheinen uns nicht bemerkt zu haben, aber wir müssen von hier verschwinden, falls sie unsere Spur entdecken oder unser altes Lager. Der Weg nach Osten ist frei, jedenfalls im Moment.«
Wir kriechen wieder unter den Bäumen hervor. Humberto hilft mir den steilen Hang hinunter, und ich halte seine Hand ein bisschen länger und fester, als unbedingt notwendig wäre. Am Fuß des Berges angekommen, bleiben wir kurz stehen, um Atem zu holen.
»Elisa, von jetzt an gehst du mit Humberto voraus«, sagt Cosmé. »Auch wenn du uns aufhältst. Wenn der Stein etwas meldet«, sie macht eine vage Handbewegung, »dann schwenk die Arme oder mach sonst etwas, damit wir sofort in Deckung gehen können.«
Ich nicke, obwohl mir die Vorstellung, unsere Gruppe auf feindliches Gebiet zu führen, schreckliche Angst bereitet. Was, wenn wir das nächste Mal keinen Unterschlupf finden? Was, wenn ich zu langsam reagiere? Aber als ich dann mit Humberto vorauseile, liegt ein Lächeln auf meinem Gesicht. Nur ein kleines. Weil ich mich vielleicht doch noch als nützlich erweisen werde.
19
Z wei Tage lang marschieren wir schweigend weiter, meiden leicht begehbare Schluchten und sanfte Höhen und klettern lieber Wildpfade hinauf, die beinahe unsichtbar an steilen Berghängen kleben, getarnt von Dornbüschen und knorrigen Wacholdersträuchern. Humberto führt uns mit sicherer Entschlossenheit, und ich folge direkt hinter ihm.
Der Feuerstein hat sich beruhigt und schnell wieder auf Körpertemperatur erwärmt, kaum dass die feindlichen Kundschafter außer Sicht waren. Aber seitdem hat er sich stetig, wie eine dauernde Warnung, wieder abgekühlt. Von daher bin ich nicht überrascht, als wir bei Sonnenuntergang einen Berggrat erreichen und beim Blick zur Sierra Sangre einen diffusen Schein wahrnehmen, orangerot im schwindenden Licht, der sich wie eine Decke am Fuß der Berge ausstreckt.
»Das Heer von Invierne«, flüstert Humberto neben mir. »Es ist noch immer mehr als eine Tagesreise entfernt. Aber ihre Kochfeuer leuchten schon wie eine kleine Stadt.«
Ich schlucke und fasse nach seiner Hand. »Die Tore des Feindes«, hauche ich zurück.
»Vielleicht«, sagt er, und sein Daumen fährt über meinen
Handrücken. »Elisa, ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.«
Das ist eine rührende Bemerkung, und ich bin dafür sehr dankbar, aber nicht einmal Humberto kann mich vor einer ganzen Armee beschützen. Ich sehe ihn von der Seite an: »Danke.«
Er lässt meine Hand los, als die anderen nun ebenfalls den Grat erklimmen. »Wir müssen unser Lager aufschlagen, bevor das Licht vergeht«, sagt er, während er sich eilig an den Abstieg macht. Ich habe Mühe, mit ihm mitzuhalten.
An diesem Abend wagen wir es nicht, ein Feuer anzuzünden. Wir sitzen im Kreis in einer winzigen geschützten Senke auf unseren Decken und kauen an getrocknetem Wildbret und verschrumpelten Datteln. Schon viel zu bald werde ich wieder Hunger haben, aber wenigstens bekomme ich davon nicht mehr so starke Kopfschmerzen. Als ich mich umsehe, stelle ich fest, dass ich nicht als Einzige ein unglückliches Gesicht mache. Unwillkürlich muss ich leise lachen.
Cosmé beugt sich vor, während die anderen die Augenbrauen heben. »Gibt es hier irgendetwas zu lachen, Hoheit?«
Ich grinse sie an. »Ich glaube, wir vermissen tatsächlich deine Jerboa-Suppe.«
Belén und Humberto kichern, während Cosmé so tut, als sei sie beleidigt. Jacián sieht ungerührt weiter zu den Bergen hinüber. Er ist stets so still und hält zu
Weitere Kostenlose Bücher