Der Feuerstein
ausgewaschenen Tal lagern, ignoriert mich Humberto wieder. Aber als er Feuerholz sammeln geht, schleiche ich mich nahe an ihn heran und flüstere ihm leise zu: »Ich halte dich nicht für dumm.«
Der Geruch der Erde verändert sich mit der fallenden Temperatur. Er prickelt in meiner Nase, zitronig und feucht. Kakteen und Steppenläufer weichen allmählich Kiefern und Wacholder. Gelegentlich überqueren wir seichte Bäche, und Humberto ergänzt unseren Speiseplan, der größtenteils aus Dörrfleisch und Jerboa-Suppe besteht, um ein paar gefleckte Forellen. Nach ein paar Tagen wird die Gefahr einer Entdeckung immer größer, weshalb wir die Berggrate meiden und uns lieber an Schluchten und kleine Täler halten. Jede Nacht krieche ich völlig erledigt unter meine Decken, und diesmal ist es eine andere Erschöpfung als bei der Reise durch die Wüste. Jetzt schmerzt jeder Knochen von den Erschütterungen, wie sie eine Wanderung in felsigem Gelände mit sich bringt.
Meine Mitstreiter werfen mir unterwegs immer wieder verärgerte Blicke zu. Irgendwie gelingt es mir, beim Laufen mehr Äste zu streifen und Steine loszutreten als ein Gespann Kutschpferde. Dabei ist mir peinlich bewusst, wie wichtig es wäre, leise und unauffällig zu sein, aber je mehr ich mich bemühe, desto ungeschickter werde ich. Belén bleibt hinter
den anderen zurück und versucht mir zu erklären, wie und wohin ich am besten trete, aber nach einer Weile reißt ihm der Geduldsfaden. Ich war stets ungelenk, und meine Füße setzen in der Regel mit lautem Stampfen auf. Hier draußen geht es allerdings nicht nur darum, sich nicht die Knöchel zu verdrehen.
Ich stehe kurz davor, in Tränen auszubrechen, als Belén völlig entnervt Humberto heranruft: »Jetzt hilfst du ihr eine Weile!« Humberto, der uns wie gewöhnlich führt und ein ganzes Stück voraus ist, nickt. Cosmé und Jacián sehen schweigend zu, als die beiden Jungen die Plätze tauschen.
Humberto hat viel mehr Geduld als Belén. Er zeigt mir, wie ich am besten auftreten soll, und erklärt, wie ich meine Schritte mit Oberschenkeln und Wadenbeinen abfedern kann. Dabei achtet er vorsichtig darauf, mich nicht zu berühren, obwohl ich mir gerade das sehnlichst wünsche.
Es ist beinahe wie Tanzunterricht, bei dem Präzision und verborgene Energie eine wichtige Rolle spielen, aber dabei habe ich mich auch stets ungeschickt angestellt. Am Ende des Tages zittern meine Muskeln und sind halb taub vor Anstrengung, aber ich breche inzwischen weniger Zweige ab und bin froh über die Stunden, die ich mit Humberto verbringen durfte.
Als der Abend heraufzieht, zünden wir ein kleines Feuer an, um unsere Suppe zu kochen, und achten darauf, keinen Qualm aufsteigen zu lassen; nach Sonnenuntergang treten wir es sofort aus. Meine Kameraden sind wesentlich weniger gesprächig als sonst. Jedes Geräusch, jeder Schatten versetzt sie in Alarmbereitschaft. Sie teilen die Nachtwachen unter sich auf. Auch ich biete an, eine Runde zu übernehmen, aber
Cosmé schüttelt den Kopf und erklärt, ich sollte lieber schlafen. »Du hältst uns sowieso schon genug auf.«
Damit hat sie natürlich recht. Ich brauche diese Rücksichtnahme, ich finde sie sogar gut. Aber ich hoffe, dass ich mich später all dieser Mühe wert erweisen werde, wenn wir Inviernes Heere beobachten können.
Am nächsten Morgen brechen wir unser Lager schweigend und hastig ab. Dann führt uns Humberto mit seiner üblichen Sicherheit und Gelassenheit weiter, über Pfade, die ich kaum als solche erkennen kann. Wir wandern durch eine Schlucht mit kiesigem Boden, die auf beiden Seiten von bläulichen Grüppchen niedriger Wacholderbüsche und trockenem Buchweizen bestanden ist. Die Sonne steht zornig glühend hoch am Himmel. Ich ziehe mir gerade das Tuch über meine brennende Kopfhaut, als der Feuerstein plötzlich eiskalt wird. Ein erschrecktes Keuchen dringt aus meiner Kehle. So kalt. So durchdringend.
»Belén!« Meine Stimme klingt wie die eines quiekenden Nagetiers. Seine hohe Gestalt ist mir am nächsten, die anderen sind zu weit voran, als dass sie mich hören könnten.
Er wirbelt herum und sieht mich ungehalten an, aber seine Miene wird sanfter, als er meinen Blick bemerkt. »Was ist denn?«
Meine Finger sind steif vor Kälte, drücken aber weiterhin gegen meinen Nabel. »Der Feuerstein. Da stimmt etwas nicht.« Fast fange ich an zu weinen. Der Stein hat bisher nur zweimal mein Blut in Eis verwandelt; einmal vor dem Angriff der Perditos und dann
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